Schabowski-Erlebnis in Schwarz

„… Das gilt ab sofort“ – ein Lapsus des Genossen S. öffnet den DDR-Bürgern den Weg in den Westen und den zur deutschen Einheit. Es scheint, als habe die Kanzlerin ein solches Schabowski-Erlebnis gehabt, als sie die Einführung der „Ehe für alle“ eine Gewissensentscheidung nennt. Zu fällen nach gründlicher Debatte im 19. Bundestag.
Wie die Maueröffnungspressekonferenz vom 9. November 1989 entfaltet auch die Plauderei bei einer Frauenzeitschrift-Veranstaltung ihre eigene Wirkung. Der neue SPD-Vorsitzende vergisst seine Zusage von Ende Mai, dass über die „Ehe für alle“ in dieser Legislatur nicht mehr gesprochen werden solle und lässt seine Fraktion in Eile ein Entscheidung – in namentlicher Abstimmung – in der letzten Bundestagssitzung vorbereiten. Eine rot-rot-grüne Mehrheit mit einigen schwarzen Stimmen ist zu erwarten. Und dann.
Nach dem zugrunde gelegten Gesetzentwurf des Bundesrates in der Drucksache 273/15 soll das Bürgerliche Gesetzbuch im Paragraph 1353 ergänzt werden. Auch die Gesetzentwürfe der Linken und Grünen laufen darauf hinaus. Tiefes Vertrauen muss bei den Protagonisten herrschen, dass dieses Gesetz wenn nicht im kommenden, so doch bei entsprechenden Mehrheiten im übernächsten oder überübernächsten Bundestag geändert werden könnte. Den Paragraphen 1354 strich der Bundestag auch mit einfacher Mehrheit. Er regelte die Gehorsamspflicht in der Ehe. Dass denen, die in diesem Punkt auf Rechtssicherheit vertrauen wollten, Unrecht geschehen sei, hört man heute einen derartigen Vorwurf? 
Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Ob die bloße Änderung eines Paragraphen die nötige Rechtssicherheit schafft? Wer weiß es. Ob die Regelung verfassungskonform ist – diese Frage kann nur in Karlsruhe geklärt werden. Selbst von Seiten der Befürworter der Regelung wird auf Unsicherheiten hingewiesen – auf die stehende Rechtsprechung der Verfassungsrichter, auf uneinheitliche Rechtsauffassungen unter Rechtswissenschaftlern. Zwar werden die erkennbaren Absichten der Schöpfer des Grundgesetzes angeführt, die an eine Ehe von Homosexuellen nicht gedacht haben mochten, selbst wenn sie Homosexualität nicht für straffällig erachtet haben sollten. Ob aber der Verweis auf veränderte rechtliche und gesellschaftliche Verhältnisse ausreicht? Den Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches gibt es nicht mehr – er wurde vom Bundestag später getilgt als von der DDR-Volkskammer. Und eine Mehrheit der Menschen befürwortet, dass Schwule und Lesben richtig heiraten, mehr als nur eine Lebenspartnerschaft eintragen dürfen. Nur die Verfassungsrichter können die Frage beantworten, ob ihnen das als Argument ausreicht. Und die Frage wird gestellt werden. Es sei nur an die von der wiedervereintenMehrheitsgesellschaft akzeptierte Neuregelung des Paragraphen 218 erinnert. Auch sie wurde in Karlsruhe kassiert.
Wie vielen Bundesbürgern das ganze tatsächlich gleichgültig ist, wer kann das erheben. Und damit sind wir bei den politischen Auswirkungen. SPD und Linke und Grüne mögen im Bundestag eine überfällige Entwicklung vorangetrieben haben. Indem sie die Dinge jetzt forcieren, helfen Sie der Kanzlerin dabei, ein Thema abzuräumen. Grüne und SPD machten wie die FDP die „Ehe für alle“ zur Scheidemarke für Koalitionsverhandlungen nach dem 24. September. Ob es den drei Parteien nutzt, werden künftige Umfragen zeigen. Doch nach allem, was man jetzt weiß, werden die Regierungsverhandlungen mit der Union zu führen sein. Die jüngste Umfrage zählt 47 Prozent der Stimmen für Schwarz-Gelb. 

Von der Ewigkeit 

16 Jahre sind nach Ansicht der Linke-Fraktionschefin im Thüringer Landtag lang genug für ein Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofes. 2001 ging es um einen Antrag gegen ein Volksbegehren. Antragsteller in Weimar war eine CDU-geführte Landesregierung. 16 Jahre später geht es wieder um einen Volksbegehren. Antragsteller ist 2017 eine Linke-geführte Landesregierung. Halt, es muss ja heißen: Antragsteller war 2017 … Der Antrag wurde ja zurückgezogen. Das Verfassungsgericht sieht dennoch Klärungsbedarf. Nun hofft r2g darauf, dass die Richter ohne eine Klage wegen Verfassungswidrigkeit eines Volksbegehrens gleich den Finanzvorbehalt im Paragraph 82 der Landesverfassung kippen könnten. Ohne im eigentlichen Sinn darum gebeten worden zu sein.
Vor 16 Jahren hatte das Verfassungsgericht  unter anderem in einem „vorbeugenden“ abstrakten Normenkontrollverfahren festgestellt, dass das „Volksbegehren des Vereins „Mehr Demokratie e.V.“ betreffend ein Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen (Gesetz zur Stärkung der Rechte der Bürger)“ unzulässig sei. Die Urheber des Volksbegehrens hatten Quoren und Beteiligungszahlen zur Vorbereitung von Bürgerbegehren, Volksbegehren und Volksentscheiden zu niedrig und die Fristen zum Sammeln der Unterschriften zu lang – mithin verfassungswidrig – festgeschrieben. Weiter vorn im Urteil hatten die Richter auf die Pflicht der Landesregierung hingewiesen, gegen derartige Vorhaben der Volksgesetzgebung zu klagen, wenn sie Verfassungswidrigkeit sähen. Insofern verwies der Ministerpräsident zu recht auf Gesetzgebung und stehende Rechtsprechung und dem Oppositionsführer kann ein gewisses Maß Populismus nicht abgesprochen werden, wenn er r2g vorwarf, gegen das Volk zu klagen. In dem Urteil haben die Richter im Übrigen zwischen dem Volk und den Initiatoren von Volksbegehren sorgfältig unterschieden.

Im Punkt 18 des Urteils bewerten sie Auswirkungen angestrebter Volksentscheide auf das „Königsrecht“ des Landtags, auf das Haushaltsrecht. „Der dem Volksbegehren „Mehr Demokratie“ in Thüringen zugrunde liegende Gesetzentwurf steht Art. 83 Abs. 3 ThürVerf auch insofern entgegen, als er mit dem relativierten Budgetrecht des Landestages das Demokratieprinzip modifiziert und damit die gemäß Art. 83 Abs. 3 ThürVerf unveränderbaren Grundsätze berührt“, heißt es. Dieses Ewigkeitsprinzip misst das Verfassungsgericht auch dem Finanzvorbehalt in Artikel 82 zu. Dennoch, „bei richtiger Einordnung der Finanzausschlußklausel“ sind Volksbegehren oder Volksentscheide zulässig, „die in dem vorbeschriebenen Rahmen nicht zu Ausgaben führen dürfen, die die Handlungsspielräume des Parlaments unangemessen einschränken oder die den Landtag zu nachhaltigen Korrekturen des geltenden Rechts veranlassen.“

Worauf r2g seine Hoffnung gründet, der Finanzvorbehalt des Landesverfassung in Artikel 82 Absatz 2 könne gänzlich gekippt werden, ist schleierhaft. Damit würde sich, so das Urteil,  die derzeitige Landesregierung auch ihres ausschließlichen Haushaltsinitiativrechtes berauben und alle nachfolgenden Landesregierungen gleich mit.

Missbrauch einer Waisen

Der Erfolg hat viele Väter, der Misserfolg ist eine Waise. Wir kennen diesen Spruch. Die 2016 ausgelaufene Brennelementesteuer, für KKW-Betreiber ist die teuerste deutsche Waise. 6,3 Milliarden Euro mussten die Energiekonzerne von 2011 bis 2016 an den Bund abführen, weil die schwarz-gelbe Bundesregierung sich eine Steuer erfand, so wie im Kaiserreich die Schaumweinsteuer erfunden worden war. Mit der sollte das Flottenprogramm von Willem II finanziert werden. Das Kaiserreich wollte einen Platz an der Sonne. Daraus wurde nix. Die Matrosenanzüge, in die die Jungs damals gesteckt wurden, sind aus der Mode. Die Steuer, schon oft erzählt, wird heute noch erhoben. Weil, es gibt verfassungsrechtlich dagegen kein Argument. Die Schaumweinsteuer ist eine Verbrauchsteuer, zu entrichten vom Schaumweintrinker.

 Die Brennelelementesteuer ist keine Verbrauchsteuer, obwohl die Bundesregierung sie als solche ausgegeben hat. In Karlsruhe sieht man das anders. Punkt. Folgt das Studium der schriftlichen Urteilsbegründung. Dann Rückzahlung. Freude schon jetzt bei den Aktionären der Energiekonzerne.
Ratschläge und Gezischle von SPD, Grünen und Linken waren zu erwarten. Die Grünen nennen das Urteil das Ende einer Geisterfahrt. Vom Koalitionspartner heißt es, die sechs Milliarden dürften nicht aus dem laufenden Haushalt gezogen werden. Und die Landesgruppe Ost fragt polemisch: „Was kostet eigentlich eine Kanzlerin, die nur auf Sicht fährt und keinen politischen Kompass hat? 6 Mrd. Euro.“ Dabei hatte die SPD 2010 in der Drucksache 17/2410 beantragt „Brennelementesteuer – Windfall Profits der Atomwirtschaft abschöpfen“. Verwiesen wurde auf die von Rot-Grün eingeleitete „geordnete Beendigung der Stromerzeugung aus Atomenergie“. Verwiesen wurde auf die vervielfachten Kosten für die Lagerung radioaktiver Abfälle und die notwendige Sanierung vorhandener Lagerstätten, auf Stillegungs- und Rückbaukosten von mindestens 7,7 Milliarden Euro. Jährlich ergäben sich für KKW-Betreiber Mitnahmegewinne („windfall profits“) von 3,4 Milliarden  Euro. Die von Union und FDP im Koalitionsvertrag verabredeten Maßnahmen zur Beteiligung der Atomkonzerne an den Kosten reichten nicht aus. Bereits im Jahr zuvor, erinnerte die SPD-Fraktion im Antrag, habe der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel die Einführung einer Steuer auf Kernbrennstoffe verlangt.
 Nun also hat eine Kanzlerin, „die auf Sicht fährt“, die Verantwortung zu tragen. 
Die Linke fordert, die sechs Milliarden Euro aus „der rechtswidrig erklärten Brennelementesteuer jetzt in einen Fonds zur Entsorgung des Atommüll überweisen“. Als wäre es so einfach, zu Unrecht erhobene Steuern zurückzubehalten. Jeder Steuerzahler würde sich darüber freuen. Nun kann man sagen, dass so, wie ein Blick in das Gesetzbuch auch ein Richterspruch die Rechtskenntnis verbessert. Es sollte aber auch daran erinnert werden, dass die Linke noch im November vergangenen Jahres mit ihrem Antrag (DS 18/9124) „Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke ‒ Die Brennelementesteuer muss bleiben“ im Bundestag scheiterte. „Für die Befristung der Brennelementesteuer gibt es keine plausiblen Gründe“, hieß es darin. Zur Untermauerung verwies die Fraktion unter anderem auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Der bescheinigte tatsächlich Konformität zu europäischem Recht. Um das Grundgesetz kümmert sich der Gerichtshof nicht. Es gibt aber kein Steuererfindungsrecht, urteilen dagegen die Karlsruher Richter. Ein plausibler Grund, die Steuer für nichtig zu erklären, wie schmerzhaft auch immer das für den Bundesfinanzminister wird. 

Die Geschichte kennt auch Kalauer

Thüringens Ministerpräsident hat ein Versprechen gegeben, das er nicht wird halten können. Nachdem überraschend das Landesverfassungsgericht angekündigt hat, zur Normenkontrollklage der CDU-Landtagsfraktion gegen Rot-Rot-Grün schon am Freitag sein Urteil zu fällen, kündigte er auf der Regierungspressekonferenz an, sein Kabinett werde schon am Freitag Abend, Samstag früh, Sonntag früh oder in der Kabinettssitzung am Dienstag Konsequenzen daraus zu ziehen. Gewöhnlich sagen Politiker gerade bei Urteilen von Verfassungsgerichten, man werde die schriftliche Urteilsbegründung abwarten. Es wäre noch überraschender, als die Ankündigung des Ministerpräsidenten, wenn sich die Verfassungsrichter von der rot-rot-grünen Eile anstecken ließen und schon am Freitag die Urteilsbegründung in Schriftform mitlieferten.

Die Juristen müssen darüber befinden, ob die Rechte des Landtags im Gesetzgebungsverfahren zum Vorschaltgesetz für die Gebietsreform verletzt wurden. Und ob somit schon aus formalen Gründen des Gesetz verfassungswidrig zustande bekommen ist und folglich scheitert. Die klagende CDU-Fraktion führt zur Begründung an, den Abgeordneten hätten Protokolle von Anhörungen im Innenausschuss nicht vorgelegen. Im neuesten Twist der Beschuldigungen von R2G gegen die Landtagsverwaltung gaben Linke und Grüne dem Landtagspräsidenten die Schuld auch an diesem Versäumnis. Tatsächlich haben die Richter in Weimar in der mündlichen Verhandlung gesagt, die Protokolle vorzulegen, sei eine „Bringeschuld des Landtages“. Nur hat zum Beispiel die Mehrheit im Haushalts- und Finanzausschuss am 22. Juni 2016 CDU-Anträge abgelehnt, die Protokolle der 27., 28. und 29. Sitzung des Innenausschusses und Stellungnahmen der Thüringer kommunalen Spitzenverbände beizuziehen, wie es im Juristendeutsch heißt. Und im Ausschuss ist die Mehrheit wie im Landtag insgesamt rot-rot-grün. Nun muss man sich nicht vorstellen, dass die Wortprotokolle zu den Sitzungen von einem auf den anderen Tag vorliegen. Die Geschäftsordnung regelt, im normalen Geschäftsbetrieb sollen sie „in der Regel bis drei Tage vor der nächsten Ausschusssitzung verteilt“ werden. Für Wortprotokolle werden vier Wochen Zeit eingeräumt. Der Gesetzentwurf wurde aber im Wochentakt verhandelt. Es wäre (Achtung, Kalauer) ein Treppenwitz der Thüringer Geschichte, hätte R2G die Ursache für das Scheitern ihres wichtigsten politischen Vorhabens in ihre Eile selbst gesetzt. Nicht nur die Halbzeitbilanz, die derzeit gefeiert wird, wäre verhagelt.
Der Prozessvertreter der Landesregierung vertrat vor Gericht am 30. Mai die Ansicht, jeder Abgeordnete hätte sich ohne Schwierigkeiten vor der Abstimmung über die Anhörungen informieren können. Ähnlich äußerte sich der Linken-Vorsitzende des Innenausschusses. Ob diese Positionen tragfähig sind? Am Freitag werden der Jurist und der Abgeordnete es erfahren. Und der Ministerpräsident auch.

Was Satire nicht darf

Was ist der Unterschied zwischen einem Schlechtfrisierten, der den abgeschlagenen Kopf der Freiheitsstatue in die Höhe hält und einer Rothaarigen, die den blutverschmierten Kopf des Schlechtfrisierten in die Höhe hält. Das eine ist mindestens Anlass für Diskussionen unter Medienexperten, ob nach diesem Cover Steigerungsmöglichkeiten bleiben wenn die Wirklichkeit dazu Anlass gibt. Das andere ist keine Satire, obwohl die Rothaarige eine bis dato gefeierte Komödiantin war.

Nun zitierte der Fotograf des Kopf-ab-Bildes zur Rechtfertigung vermeintlich Voltaire: „Ich stimme dir nicht zu, aber ich werde dein Recht verteidigen, es zu sagen“, so oder ähnlich soll der Franzose die Meinungsfreiheit rückhaltlos verteidigt haben. Allein, das Zitat stammt nicht von dem Philosophen. Findige Rechercheure fanden heraus, dass eine Biografin mit diesen Worten Voltaires geistige Haltung beschrieb. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nicht nur deshalb ist das Produkt der Zusammenarbeit von Komikerin und provokantem Fotografen mit dem Zitat nicht zu rechtfertigen.
Das Foto mag keine strafrechtlichen Konsequenzen haben – der Secret Service befragte protokollgemäß die Komikerin, so wie jeder befragt wird, dem eine Todesdrohung gegen einen US-Präsidenten zugeschrieben wird. Satire und Meinungsfreiheit sind keine prioritären Kategorien bei der Analyse von Drohungen gegen den US-Präsidenten. Doch das Echo ist im Grunde verheerend. Wie es immer ist, wenn Fragen erst danach gestellt werden, die hätten zuvor gestellt werden müssen. Etwa die, wie die Aktion in der Familie des Attackierten wirken könnte. Nun muss sich die Komikerin ausgerechnet von dem erläutern lassen, wie das Foto auf seinen elfjährigen Sohn wirke. Schon zuvor hatte eine Komikerin den TV-Job verloren, die sich den First Son als Objekt ihrer vermeintlich satirischen Angriffe auserkoren hatte: er werde der erste Amokschütze in einer Homeschool sein, ätzte die Frau unter anderem. Gerade hier zeigt sich, dass Satire nicht alles darf, auch wenn der Satiriker der Meinung ist, die Familie sei ein legitimes Ziel. Der jüngste Angriff mag nicht dem Jungen gegolten haben, er mittelbares Opfer. Doch auch für Morddrohungen ist das alles  keine Rechtfertigung

Die Komikerin nennt sich jetzt ein Opfer der First Family. Was ihre passiere, sei in „diesem großartigen Land noch nie geschehen“. Ein amtierender Präsident, so empfinde sie es,  versuche, ihr Leben zu ruinieren, erklärte sie auf einer Pressekonferenz. Und dann wurde die Komikerin komisch: einem Mann wäre das nicht passiert, behauptete sie.