Los, hau mir doch eine in die Fresse!

„Verklagt uns doch!“, hallt es seit Tagen aus den Büros von Koalitionsspitzen und einfachen Abgeordneten der rot-rot-grünen Koalition durch das Vestibül des Thüringer Landtags. Als wollte sich die Ein-Abgeordneten-Mehrheit mit aller Macht die Urheber-Rechte an einem neuen Format im Unterschichtenfernsehen sichern.

Aber es geht um ein Haushaltsgesetz. Für ein Bundesland. Mithin um eine einigermaßen ernsthafte Angelegenheit.

Rot-Rot-Grün will den Haushalt für das erste Jahr der 7. Legislatur des Thüringer Landtags – zu dessen Mehrheitsverhältnissen derzeit nicht mehr gesagt werden kann, als dass eine komplizierte Regierungsbildung erwartet werden kann – vom derzeitigen 6. Landtag verabschieden lassen. Vereine, Gesellschaften, Kommunen sollten nicht auf Geld warten müssen, wird begründet. Man wolle mehr Polizisten einstellen, mehr Lehrer, man wolle auch mehr in Straßen investieren, begründet die Koalition ihre Eile. Das müsse abgesichert werden, behauptet die Koalition. Und um das eigene Tun zu rechtfertigen verweist man gern auf andere Bundesländer, wo selbst CDU-geführte Landesregierungen Doppelhaushalte in die jeweiligen Landtage einbrachten, deren zweiter Teil jenseits von Landtagswahlen lagen und liegen.

Die CDU-Fraktion, bezweifelt, dass das Vorhaben der Thüringer Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen guter jahrzehntelanger parlamentarische Übung und dem Sinn der Verfassung entspreche. Sie holte dazu beim wissenschaftlichen Dienst des Landtags ein Gutachten ein. Das gibt ihr in wesentlichen Punkten recht. Und weil der wissenschaftliche Dienst des Landtages – wir erinnern uns, zu anderer Gelegenheit wurde dem seinerzeitigen Landtagspräsidenten von interessierter Seite vorgehalten, er führe die Verwaltung wie ein CDU-Ministerium und man müsse sie lustrieren – nicht der Thüringer Verfassungsgerichtshof ist, sprechen die Landtagsjuristen nicht von Verfassungswidrigkeit, sondern ihrem Status angemessen von „verfassungsrechtlichen Risiken“. Und sie benennen die Unterschiede der Thüringer Verfassungslage zu der anderer Bundesländer. Und sie machen klar, dass der Landtag, der die Absegnung des Landeshaushalts zu seinem Königsrecht zählt, im konkreten Fall, in neuer Zusammensetzung gar nicht die Möglichkeit hätte, einen Nachtragshaushalt aufzustellen. Das Stichwort „Nachtragshaushalt“ wurde aber von Koalitionsseite in der Debatte vor der Veröffentlichung des Landtagsgutachtens gern benutzt. Doch ist es offensichtlich so unangemessen wie die fortgesetzte Behauptung der Finanzministerin von der SPD falsch ist, die CDU-Fraktion wolle die Landesregierung zum Verfassungbruch drängen, in dem sie gefordert habe, keinen Etat für 2020 einzubringen. Um die Haushaltsmalaise noch deutlicher zu machen. Der neue Landtag hätte auch gar nicht die Möglichkeit, die dann – wer weiß wie lange in alter Zusammensetzung – amtierende Regierung zur Vorlage eines Nachtragshaushalts zu bewegen. Die darf das laut Verfassung nicht. Ihr sind haushaltsrelevante Entscheidungen schlicht untersagt. Was ja seinen tieferen Grund in dem demokratischen Prinzip der Vergabe von Macht auf Zeit und der Legitimation durch Wahlen in regelmäßigen Abständen hat. So sieht sich die rot-rot-grüne Landesregierung dem Vorwurf ausgesetzt, sie wolle von der Macht, die sie durch die Wahl 2014 bekommen hat, etwas hinter den Wahltag am 27. Oktober 2019 hinüberretten. Einmal abgesehen davon, dass sie im bevorstehenden Wahlkampf nicht mit bloßen Versprechen um Stimmen werben muss. Sie kann auf den Etat 2020 verweisen, mit den Hosenträgern schnippen und auf jedem Platz sagen: „schaut her, wir machen“. Man kann das den größten Wahlkampf-Coup nennen, der in der Bundesrepublik je gelandet worden ist. Nicht nur am Rande sei bemerkt, dass die Linke in Niedersachen meint, wegen eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes im dortigen Landtag, in dem verfassungsrechtliche Bedenken zur Polizei-Gesetz-Novelle herausgearbeitet wurden, hätte die rot-schwarze Landesregierung den Gesetzentwurf zurückziehen müssen. In Niedersachsen ist die Linke außerparlamentarische Opposition, in Thüringen führt sie die Landesregierung. Kann das die Perspektive auf derartige Gutachten dermaßen ändern?

Wie komme ich jetzt aus der traurigen Geschichte? Mit einer Anekdote, an die ich durch das „verklagt uns doch!“ erinnert wurde. Zurück nach 1974. Während der Grundausbildung bei der Asche, war es üblich, dass nach der Vereidigung, den angehenden Mot.Schützen ein Gruppenausgang gewährt wurde, Levi’s Filz, Wintermantel, schwarzes Koppel, Tschapka. Es durfte dabei auch gemäßigt Alkohol genossen werden. Mit im Ausgang der zumeist 18-jährigen Rekruten war ein 25 oder 26-Jähriger aus Hirschberg, den es noch kurz vor Toresschluss erwischt hatte. Zum Ende des Ausgangs geriet er, angetrunken wie er war, unter den Arkaden vor dem Winzerkeller in Erfurt mit einem Zivilisten in Streit. Ein Wort ergab das andere. Die Hände tief in den Manteltaschen vergraben, schrie er den Zivilisten an: „Los, hau mir doch eine in die Fresse!“ Und was soll ich sagen, der Zivilist folgte der Aufforderung. Wirklich passiert.