Feuer unterm Dach

Skandal! Eklat! Der Präsident des Thüringer Landtags wirft eine Abgeordnete – vor sechs Wochen von einem Jungen entbunden – aus dem Plenarsaal, weil sie bei einer Abstimmung ihren Sohn bei sich haben wollte. Verständlich. Der Vorgang trug das Parlament des Freistaates in die deutschen Medien, was selten genug geschieht. Sogar bis nach Amerika drang die Kunde von dem unerhörten Vorgang. Man kann sagen, der Landtagspräsident hat eine ausgesprochen negative Presse. „Die 50er Jahre haben angerufen und wollen ihn zurückhaben“ und „dass so etwas im Jahr 2018 möglich ist“, waren noch nettere Kommentare. Das Familienbild des Landtagspräsidenten und das der CDU wurden in Frage gestellt. Der Landtagspräsident ist Mitglied der CDU-Fraktion. Dabei hatte er in seiner Begründung der Entscheidung angeführt, der Vorstand des Landtags, zu dem auch eine SPD- und eine Linke-Abgeordnete gehören, habe von der Landtagsverwaltung prüfen lassen und man sei zu dem Ergebnis gekommen: „dass wir der Auffassung sind, dass Kleinkinder nichts im Plenum zu suchen haben“. Das wurde geflissentlich ignoriert. Die Damen protestierten nicht, zumindest nicht vernehmlich.

Die Fraktionsvorsitzende der Linke hielt dem Landtagspräsidenten in der ersten Aufwallung unter anderen entgegen, dass über Wohl und Wehe des Kindes doch die Eltern zu entscheiden hätten. Und das Mutterschutzgesetz, muss eigentlich ergänzt werden. „Dieses Gesetz schützt die Gesundheit der Frau und ihres Kindes am Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplatz während der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit“, heißt es darin. Das vom Gesetz festgeschriebene Beschäftigungsverbot für sechs Wochen vor der Geburt kann die Schwangere durch eigene Erklärung beiseite wischen. Für acht Wochen nach der Entbindung gilt ein striktes Beschäftigungsverbot. Gelegentlich wird berichtet, das Mutterschutzgesetz gelte nicht für Abgeordnete. Sie stünden in keinem Beschäftigungsverhältnis mit dem Landtag und der Parlamentspräsident sei schon gar nicht der Arbeitgeber. Doch seit Jahren wird davon berichtet, dass Parlamentarierinnen im Bundestag und Landesparlamenten nach der Zeit des achtwöchigen Mutterschutzes ihre Abgeordnetentätigkeit wieder aufgenommmen haben.

Wenn das Gesetz auch für Abgeordnete gilt, gilt dann nicht auch das unabdingbare Beschäftigungsverbot? Und hätte der oberste Thüringer Parlamentarier sich nicht eines Rechtsbruchs schuldig gemacht, selbst wenn die Abgeordnete ihr freies Mandat ausüben und sich und schon gar nicht ihren kleinen Sohn von einem familienpolitisch rückständigen Mann schützen lassen wollte?

Das Anliegen das der gezielten Provokation zu Grunde liegt ist ja berechtigt. Und die Frage, wie familienfreundlich das Thüringer Landesparlament ist, kann ja nur so beantwortet werden: es muss familienfreundlich sein. In Baden Württemberg ist man da weiter. Mit der Drucksache 15/5500 wurde bereits 2014 die Geschäftsordnung geändert. Darin heißt es jetzt: „Beantragt eine Abgeordnete innerhalb der gesetzlichen Mutterschutzfristen Urlaub, ist dieser vom Präsidenten zu gewähren. Zum Zwecke der Kinderbetreuung kann der Präsident Abgeordnete auf Antrag für längstens sechs Monate nach der Geburt des Kindes für die Plenar- und Ausschusssitzungen kann der Präsident Abgeordnete auf Antrag für längstens sechs Monate nach der Geburt des Kindes für die Plenar- und Ausschusssitzungen beurlauben.“

Wenn sich die Wogen geglättet haben, können die Thüringer Parlamentarier an die Änderung der hiesigen Geschäftsordnung gehen. Dass das nötig ist, hätten sie gewiss auch bemerkt, wenn die Abgeordnete zum Septemberplenum mit ihrem Sohn erschienen wäre – nachdem die Acht-Wochen-Regel nicht mehr greift. Immerhin brachten in den Parlamentsferien zwei weitere Frauen, eine aus der CDU-, eine aus der AfD-Fraktion Kinder zur Welt. Aber das hätte nicht die Aufmerksamkeit beschert. Die Geschäftsordnung ist bei gutem Willen aller in dieser Frage schneller geändert, als der von den Grünen jetzt angekündigte Organstreit vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof verhandelt und geurteilt ist.

Bäh-Worte

„Scheiße sagt man nicht“. Es war dies wohl die erste Sprachregelung, der unsereiner sich beugen musste. Sie war allein notwendig, weil das Bäh-Wort in der Erwachsenenwelt gang und gebe war. Weil, schlechte Vorbilder färben leicht ab. Erzieherische Gründe halt. Es mag ein wenig hineingespielt haben, dem kleinen Burschen zu zeigen, dass es Dinge gibt, die der Eltern-Generation oder Älteren allgemein vorbehalten waren. Ähnlich verhielt es sich mit anderen Begriffen der Fäkalsprache. Ich muss das nicht aufzählen.

Sprachregelungen der ästhetischen Kategorie folgten solche ideologischer Natur. Russe war so ein ideologisches Bäh-Wort. Statt diesem musste das Wort Sowjetbürger oder Sowjetmensch genutzt werden, selbst in der widersinnigen Situation, dass es sich nicht um einen Georgier handelte, oder einen Letten, Litauer, Armenier, sondern um einen – Russen. Die Sowjetmenschen waren das Brudervolk, was zu dem Witz verleitetete, zu bemerken, Brüder habe man, Freunde aber suche man sich aus. Noch war das „Framing“ ein weithin unbekanntes Phänomen, aber die, die die Sprachregelungen vorgaben, waren gewillt, mit derartigen Begriffen das Denken zu beeinflussen. Mit der Vorgabe, welche Worte zu gebrauchen seien und welche zu meiden, unterstrich die SED ihren Herrschaftsanspruch. Viktor Klemperer hat in seinem „LTI Notizbuch eines Philologen“ aufzeigt, wie das im Dritten Reich funktioniert hatte.

„Scheiße sagt man nicht“, bekommen auch heute noch kleine Kinder zu hören. Und auch den Erwachsenen wird vorgeschrieben, was sie sagen sollen und was nicht. „Volksverräter“ ist so ein Wort und „Gutmenschen“, auch in der Ausweitung auf große Bevölkerungsgruppen in Form von „Gutmenschentum“. Wieder dreht sich der Kampf um die Begrifflichkeiten eigentlich um die Herrschaft im politischen Diskurs, um die Herrschaft über das Denken. Um denen, die die Worte nutzen – Pegida-Demonstranten in Dresden oder die die Willkommenskultur für überzogen erachten – deren Gebrauch zu vergellen, oder sie als nah an die Nazi-Ideologie gebaut zu beschreiben, wird munter drauf los behauptet. „Volksverräter sei ein NS-Begriff erklärte der Grünen-Vorsitzende vor Kurzem. „Der Begriff “Gutmenschentum“ ist mir vor allem von AfD und Pegida bekannt“, erklärte der Chef der Thüringer Staatskanzlei jetzt in einem Interview. Beide sollten es besser wissen. Allenfalls haben AfDler und Pegidisten die Worte usurpiert und sticheln jetzt mit ihnen. Und, selbst ganz Linke zeihen Linke, Gutmenschen zu sein.

Das Wort „Volksverräter“ ist schon bei Karl Marx nachweisbar – bekanntermaßen ein Mann weit davon entfernt, mit rechtem Gedankengut in Verbindung gebracht werden zu können. Marx nutzte den harten Begriff in der Auseinandersetzung mit Alphonse de Lamartine, der 1848 für das Amt des französischen Staatspräsidenten kandidierte und Louis Napoleon Bonaparte, dem späteren Kaiser Napoleon III. unterlag. Rosa Luxemburg schmähte 1916 in einem Flugblatt die deutschen Sozialdemokraten als eine „Rotte von Volksverrätern“. Das Wort „Gutmenschen“ wurde schon im politischen Diskurs verwendet, lange bevor es AfD und Pegida gab. 2005 fragte Klaus Harpprecht in der „Zeit“, warum die Linke auf dem Begriff beharrten. „Vermittelt es Ihnen die Gewissheit – oder die Illusion -, einer halbwegs zuverlässigen Grundordnung ihrer Weltanschauung? Und damit eine moralische Wertung, die den Linken eine Art Gutmenschentum sichert? Ihnen ein besseres Gewissen verschafft?“ Harpprecht, Journalist und Bücherschreiber, verfasste Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts Reden für Willy Brandt, leitete den S.Fischer Verlag, gab Zeitschriften heraus und war Korrespondent der Zeit. Man konnte das Wort im selben Jahr im „Spiegel“ lesen. Christoph Schlingensief gebrauchte es im Dezember 2005 in einem umfänglichen Zeitungsinterview. Er sprach vom „populistische Gutmenschentum der Berichterstatter“ über die Besuche von VW-Managern und Betriebsräten bei Nutten. Gut, Nutten ist auch kein schönes Wort. Heute sollte ich Sexarbeiterinnen schreiben. Aber Schlingensief war gewiss kein AfD-Anhänger. Er ist 2010 gestorben.

Die Macht des Faktischen

Der CDU-Fraktionschef im Thüringer Landtag hat im mdr-Sommerinterview des Thüringen Journals der rot-rot-grünen Landesregierung erneut vorgeworfen, sie handele „dreist“, wenn sie bereits im kommenden Jahr den Etat für das Jahr 2020, mithin für das erste Jahr nach der Landtagswahl durch den Landtag bringen wolle. Das sei in Deutschland „ein einmaliger Akt“. Die folgenden Ausführungen des CDU-Politikers dazu sind vom mdr nicht ausgestrahlt worden. Sie können auf der Internetseite des Thüringen Journals verfolgt werden (ab Minute 5:43 des etwa 20-minütigen Interviews). Der Haushaltspolitische Sprecher der Grünen im Landtag erinnert nun daran, derartiges habe es bereits in Hessen gegeben, in Sachsen und in Bayern. In Sachsen wird in  der kommenden Woche tatsächlich der Doppelhaushalt für 2019/2020 eingebracht, der im Dezember verabschiedet werden soll, wenige Monate vor der Landtagswahl 2019.

Der CDU-Politiker verkenne „bewusst, dass Rot-Rot-Grün für Thüringen verantwortungsbewusst plant und Verbände, Vereine und alle diejenigen, die auf Gelder aus dem Landeshaushalt angewiesen sind, mit einem Haushalt 2020 für das Nachwahljahr somit finanzielle Sicherheit erhalten. Wir verhindern damit Stillstand und Unsicherheiten und setzen auf Konstanz und Zuverlässigkeit.“ Der Grünen- Haushaltsexperte macht „Stillstand und Unsicherheit“ im Land an einem 3 Prozent-Anteil am Etat fest. Über soviel können Landesregierung und Landtagsmehrheit frei verfügen. Selbst dieses Geld kann ohne gültigen Haushalt zu einem Großteil ausgereicht werden, dank der in der Landesverfassung verankerten vorläufigen Haushaltsführung. Die Vorhaltungen des CDU-Politikers, R2G ignoriere die Rechte des künftigen Landtags, lässt er ebenso beiseite, wie den Hinweis, gerade der von den Regierungsparteien anvisierte späte Wahltermin im November bewirke den vermeintlichen Zwang, den Haushalt früh zu verabschieden.

Die Wortmeldung der grünen Landtagsfraktion geht auch nicht auf die möglicherweise langwierige Regierungsbildung nach der Wahl ein. Für die amtierende Landesregierung, sie dürfte unter der Bedingung, dass ein Etat wie üblich vor der Wahl in den Landtag eingebracht, jedoch nicht verabschiedet wurde, keine etatrelevanten Beschlüsse fassen, wäre es angenehm, einen verabschiedeten Haushalt vollziehen zu können. (Der Wehrmutstropfen – es müsste nach der Wahl mit dem Kabinett in der Zusammensetzung von vor der Wahl weiter regiert werden). R2G kann sich eigentlich zurücklehnen und die Debatte an sich abtropfen lassen. Der Hinweis, in anderen Ländern sei nach dem gleichen Prinzip verfahren worden, ist nicht wirklich zielführend. Denn dort hat die Opposition das Vorgehen nicht vernehmlich in Frage gestellt. Wo kein Kläger, da kein Richter. Es wäre zudem auch schwer vermittelbar, hätten die Grünen und die Linke in der Opposition in Sachsen abgelehnt, was sie in Thüringen in Regierungsverantwortung demnächst praktizieren wollen.

Und solange die Grundsatzfrage nicht vor ein Verfassungsgericht gebracht wird, bleibt der Streit um den Umgang mit dem Haushaltsrecht eines zukünftigen Landtags ein Kampf um Meinungen, eine politische Debatte um die Achtung des Wählerwillens. Ein verfassungsrechtliches Mysterium bliebe bestehen. Auch in Thüringen. Und es wirkt die Macht des Faktischen.