Umfragen-Fragen

41 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage fühlen sich in ihrer Arbeit unterbezahlt. Ist das Ergebnis überraschend?

Würde es den Aussagewert dieser Umfrage relativieren, wenn man die Kinder der Befragten fragt, ob sie meinen, von ihren Eltern angemessen mit Taschengeld versorgt zu werden? Hätten die Meinungsumfrager nicht zugleich mitteilen sollen, wie groß bei den anderen 59 Prozent der Anteil, derer ist, die zugeben, dass sie in ihrem Job überbezahlt sind, und hätten sie herausfinden können, wie viele von den 41 Prozent tatsächlich unterbezahlt sind? 1000 Befragte, die Zahl ist sicherlich zu gering, um zu erheben wie die Ost-West-Verteilung des Gefühls unterbezahlt zu sein aussieht. 
So stehe ich jetzt da mit dem Wissen, dass andere Menschen ein ein schlechtes Gefühl haben. Das Gefühl, weniger Lohn zu bekommen, als einem zusteht kann kein gutes Gefühl sein. Als empathischer Mensch müsste ich jetzt rufen „Gehaltserhöhung, Lohnerhöhung!“. So, wie der verunstaltete Quasimodo „Asylrecht“ von einem Turm der Kathedrale Notre Dame herunter rief nachdem die wunderwunderschöne Esmeralda bei ihm Zuflucht gesucht hatte. Also: „Gehaltserhöhung! Lohnerhöhung!“ Hat mich jemand gehört?

Etwas Klarheit in die verkorkste Welt solcher Meinungsumfragen könnte die Befragung der Gegenseite, hier der Arbeitgeber, bringen. Das wäre doch mal ne Erhebung: welches Gefühl haben sie im Bezug auf die Entlohnung ihrer Angestellten? a) es ist wohl eher unter der Entlohnung bei der Konkurrenz, b) ich liege mit meinem Konkurrenten wohl eher auf dem gleichen Niveau, c) ich liege wohl eher über dem, was die Konkurrenz zahlt. Ich prophezeie, mehr als 41 Prozent der Befragten haben nicht das Gefühl, dass sie ihren Angestellten zu wenig bezahlen. Auch hier wäre die Ost-West-Verteilung von außerordentlichem Interesse.

Nicht verlockend

Linke-Fraktionschef Bartsch lockt. Wenn die SPD will, könnte ihr Vorsitzender Gabriel in der kommenden Woche im Kanzleramt sitzen, verspricht er. Welche Perspektive ein Jahr vor dem eigentlichen Wahltermin. Die rechnerische Mehrheit von Rot-Rot-Grün würde für ein erfolgreiches konstruktives Misstrauensvotum reichen. Doch reicht das?
Als nicht ausreichend kann das jüngste Treffen von Bundestagsabgeordneten der drei Parteien angesehen werden. Auch wenn Gabriel kurz vorbeigeschaut hat. Man frage nur die Abgeordneten des Seeheimer Kreises. Man frage nur die Grünen Abgeordneten, die sich eine schwarz-grüne Perspektive erarbeiten wollen.
Frage: was hat Bartsch noch zu bieten außer der Aufforderung zum Sturz Merkels. Er stellt Bedingungen. SPD, Linke und Grüne sollten sich bis zum Sturz darauf verständigen, was bis zur Bundestagswahl realisiert werden solle. Auslandeinsätze der Bundeswehr ? Einigung möglich, meint Bartsch. Sozialreformen? Nicht alles ist schlecht an der Agenda 2010, sagt der Linke. Doch seine Parteivorsitzende will den Außenminister nicht zum Bundespräsidenten wählen, auch weil der am Zustandekommen der Agenda 2010 beteiligt gewesen sei. Was gilt nun? Was Bartsch nicht bieten kann ist die Aussicht, nach der nächsten Wahl gemeinsam weiter zu regieren. Das sagen zumindest die aktuellen Meinungsumfragen.
Als 1982 die sozialliberale,Koalition zerfiel bestimmten zwei Begriffe die politische Debatte und die kamen aus der Koalition, nicht von einer Oppositionsparzei: Bonner Wende – vom damaligen Außenminister Genscher geprägt und das Scheide-Papier von Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff. Hat jemand von ähnlichen Unterlagen der Linke gehört, die die Sozialdemokraten überzeugen könnten. Wo sind die Vorschläge der Linke, die vergleichbar wären mit Lambsdorffs damaligen Forderungen nach einer Konsolidierung des Bundeshaushalts, nach Begrenzung der explodierenden Sozialstaatskosten, von Anreizen für arbeitsplatzfördernde Investitionen. Hätte die SPD sowas? 
Alles was Bartsch zu bieten hat ist das medienwirksame aber politisch nicht wirkmächtige Wort Sturz. Noch so einen Vorschlag kann er nicht machen. Chance vertan.

Maßstab ist schuld

Der journalistischen Grundsatz, eine Falschmeldung hast du zwei mal exklusiv, wenn du sie absetzt und wenn du sie dementierst, scheint nicht mehr zu gelten. Noch als die Nähe zwischen dem mutmaßlichen Rechtsterroristen Böhnhardt und dem 15 Jahre zurückliegenden Mordfall Peggy nur mit einem Gliedermaßstab der Tatortgruppe des LKA Thüringen bemessen werden konnte, sprach eine große öffentlich-rechtliche Nachrichtensendung in ihrem Online-Auftritt von „DNA-Spuren von Uwe Böhnhardt am Leichnam der getöteten Schülerin Peggy“. Schaurig. Als habe der Terrorist noch einmal neben dem Skelett gelegen, bevor er sich in einem Wohnmobil bei Eisenach der Verantwortung durch Kopfschuss entzog. 

Mit ähnlich lautenden Meldungen war aufsehenerregend Mitte des Monats die Verbindung zwischen beiden Kriminalfällen hergestellt worden. Ohne dass geklärt war, wie die Böhnhardt-Spur an den Tatort gelangt sein könnte, gab es Pressekonferenzen von Ministern, Statements von Politikern vor Kameras und Mikrofonen, von Kriminalpolizisten und deren höchsten Vorgesetzten. Am Ende hieß es, die DNA-Spur sei auf einem fingernagelgroßen Stofffetzen gesichert worden. Spurenübertragungen im untersuchenden Labor wurden ausgeschlossen. Doch nichts Genaues wusste man nicht. Journalisten fragten dennoch, muss die Geschichte des Terrornetzwerks NSU umgeschrieben werden. Mancher Politiker echote. Was blieb ihm anderes übrig angesichts der Monströsität, Mörder und noch dazu Kinderschänder.

Kommentare sind frei, doch Fakten sind heilig. Fakten aber gab es nicht, allenfalls Spekulationen. Und so wurde mancher Bericht zum Sachverhalt mit doppelten Konjunktiven gespickt: „Es könnte ja sein, dass die Möglichkeit besteht, dass…“ Spekulationen sollten glaubwürdiger erscheinen. War das noch nüchterner – gemeint ist nicht langweiliger – Journalismus der Fakten vor Lesern und Zuschauern ausbreitet und der sich nicht an dem orientiert, was man gern hätte oder was sich am ehesten verkaufen lässt?

 Nun also lässt sich mit einem Gliedermaßstab der Weg zurück in die wirkliche Realität des NSU-Komplexes bemessen. Und Peggys Mutter weiß noch immer nicht, wer ihre Tochter ermordet hat. Wie die langen 15 Jahre zuvor.

Wo ist Juncker?

Aus, vorbei. CETA gescheitert. So schien es, als die kanadische Handelsministerin Freeland am Freitag ihre Koffer packte. Aus Namur, der Hauptstadt der belgischen Region Wallonie hatte es geheißen: wir wollen das Freihandelsabkommen mit Kanada nicht. Das Regionalparlament eines Landesteils im föderalen Belgien, gerade knapp so groß wie Thüringen, verweigerte seine Zustimmung zu CETA und damit die Unterschriften unter das Abkommen. Die 75 wallononischen Abgeordneten haben das Mandat dazu. Blockade auf der ganzen Linie.
Das schrie geradezu nach Krisenmanagement. Der Präsident des EU-Parlaments Schulz ergriff die Initiative und bewegte die kanadische Ministerin zu bleiben und zu einem Arbeitsfrühstück am frühen Samstag morgen und den Chef der Regionalregierung der Wallonie, Magnette, zu einem Gespräch danach. Aus Freelands ätzigem „… die EU scheint derzeit nicht in der Lage,  ein internationales Abkommen zu schließen, selbst mit den höflichen Kanadiern nicht“ wurde ein „ich bin zuversichtlich, mit meinem Premierminister am Donnerstag zur Unterschrift zurückzukehren“.

Zunächst sieht es so aus, als habe der erste Parlamentarier der EU in schwerer Stunde dem „Regierungschef Europas“ Juncker das Heft des Handelns aus der Hand genommen, um ein wichtiges Abkommen zu retten über das sieben Jahre verhandelt worden ist. Man stelle sich vor ein Bundestagspräsident schaltet sich in die Regierungsgeschäfte ein. In Deutschland unvorstellbar. Nicht nur das Kabinett wäre in Aufruhr

Doch irgendwie werden in Brüssel beide davon profitieren. Der EU-Parlamentarier empfiehlt sich einerseits als Krisenmanager. Seinem Mühen um die Kanzlerschaft der SPD im kommenden Jahr wird das andererseits nicht schaden. Selbst wenn es bis Mittwoch -man wird den Kanadiern ja noch einige Stunden der Reisevorbereitung einräumen wollen – keine Einigung mit den Walloniern geben sollte. Auch das EU-Parlament ist aufgewertet worden und zwar in einer Art, wie es der Kommissionspräsident im Sommer gefordert hatte. Seine Juristen waren nach Prüfung zu der Ansicht gekommen, dass allein die Europäische Union für das Freihandelsabkommen zuständig sei. Am Ende müsste das EU-Parlament zustimmen, nur noch das. Nicht die 28 nationalen Parlamente. Und die wallonische Regionalvertretung demnach schon gar nicht.

Junckers Vorstoß löste Empörung aus. Weil andere Juristen eine andere Rechtsauffassung vertreten hätten. Andere Politiker sahen zudem großes Konfliktpotential in Junckers Worten. Die nationalen Parlamente wollten sich in ihrer Rolle nicht von Brüssel stutzen lassen. Es wäre – je nach Stimmung – in den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU nur schwer vermittelbar, warum nicht auch dort das Abkommen parlamentarisch behandelt wird. Diese Forderung wird nicht von dem Argument ausgehebelt, dass ja auch die EU-Parlamentarier direkt gewählt seien.

Eine Frage wird noch zu beantworten sein. Nämlich die, wie der erste europäische Parlamentarier erklärt, ob er im Namen aller EU-Parlamentarier gehandelt hat und den Eindruck erwecken wollte, das Parlament stünde geschlossen hinter dem Abkommen. Wenn ja, was wäre dann mit den Gegnern des Vertrages, die nicht alle zugleich Europagegner sind? 

Der große Zug

CETA gestoppt. Die Wallonen beherrschen die EU. 
Welch monströses Bild. Da entscheidet ein Regionalparlament wozu es in der demokratischen Ordnung Europas gesetzlich legitimiert ist  und es heißt danach gequält, das sei zwar grunddemokratisch, aber 3,3 Millionen Menschen dürften das große Ganze nicht aufhalten und das schöne Abkommen erst recht nicht. Eigentlich müssten Einschätzungen zum Thema nach dem Wort „grundemokratisch“ enden, wenn sie dieses Wort denn gebrauchen. Eigentlich hätten die Verhandler aus Brüssel und die Politiker auf EU-Ebene und die auf der Ebene der EU-Mitgliedsstaaten ins Kalkül ziehen müssen, dass schon ein kleines, störrischen, gallisches Regionalparlament die große EU bremsen kann. Eigentlich hätten sie entsprechende Verhandlungsergebnisse vorlegen müssen. Ergebnisse, die nicht nur die handelnden Politiker für gut befinden können. Zumal wenn man um die belgischen Besonderheiten weiß und insbesondere um die einer wirtschaftlich abgehängten Region.
Nachdem die kanadische Handelsministerin die direkten Gespräche mit der Wallonie abgebrochen hat steht die Frage, wie es dermaßen falsch laufen konnte. Selbstverständlich mussten die Abgeordneten in Namur die Interessen ihrer Wähler aufnehmen. Und wenn die Angst haben vor billigen Fleischimporten nach Abschluss des Abkommens  mussten sie dagegen stimmen. Darüber hinaus wird es unter den 75 Ratsmitgliedern nur wenige geben, die nicht wiedergewählt werden wollen. Sicher Angst ist ein schlechter Berater. Aber die Ängstlichen zurückzulassen, zu ignorieren, hat sich gerächt. Bei dem Scherbengericht muss auch die Frage beantwortet werden, ob nicht erst durch Unachtsamkeit der großen Politik die wenigen Wallonier in ihre Vetoposition gebracht wurden. 
Demokratie ist manchmal unbequem,  vor allem für Demokraten.

Besser als Wasser und Salz

Das Bundeskartellamt hat mit deutschen Unternehmen, die sich mit Konkurrenten zu Preisabsprachen treffen. Erfahrung. Doch wie ihm jetzt gezeigt wurde, zu wenig Erfahrung. Kungeleien bei Preisen sind die elegantere Art, gemeinschaftlich der werten Kundschaft tiefer in die Tasche zu greifen. Gern bei Matratzen, gern bei Fleisch und Wurst. Da, wie das Bundeskartellamt berichtet, jahrzehntelang. Preisabsprachen unter diversen Firmen, kleinen, mittelständischen, auch solchen, die im Fernsehen für ihre Produkte werben, sind illegal.  Mögen sie auch für den Kunden angenehmer sein als Gammelfleisch in der Leberwurst. Wenn man nicht erwischt wird, sind sie ertragshöffiger als die Maxime „Wasser und Salz, Gott erhalt’s“ des Fleischers um die Ecke mit fünf Gesellen und der drallen Gattin als Fleischfachverkäuferin. 
Gegen 21 Wurstfabriken und 33 Verantwortliche verhängte das Bundeskartellamt Mitte 2014 Bußgelder in Höhe von 338 Millionen Euro. 26 Einsprüchen werden noch verhandelt. Doch auf 128 Millionen der 338 Millionen Euro muss der Fiskus verzichten. Die Regelverletzer Könecke und Böklunder, das Würstchen vom Lande, verschwanden in der Holding eines Unternehmers, der auch im deutschen Fußball nicht ohne Einfluss ist. 128 Millionen Euro Strafe allein für zwei Firmen aus einem Fleischimperium, da müssten die beiden Firmen neben dem Wurst Produzieren und Verkaufen auch bei den Preisabsprachen sehr erfolgreich gewesen sein. Böklunder und Könecke waren erst 2014 vollständig zum Unternehmen mit Milliardenumsatz gekommen.
Vielleicht erst als die Bußgeldbescheide nicht vollstreckt werden konnten, erkannte man auf der anderen Seite, dass es zu wenig Dolmetscher gibt, die deutsche Gesetzestexte in selbst für Juristen verständliches Deutsch übertragen. Dass ein Unternehmer unternehmerisch so frei ist, sein Unternehmen so umzubauen, dass in der Konsequenz der Bußgeldbescheid gegenstandlos werden kann, ging nämlich schon die ganze Zeit aus den Gesetzestexten hervor. Da hielt offenbar der Gesetzgeber mit der Entwicklung der Unternehmenswirklichkeit in Deutschland nicht Schritt. 
Auf alle Fälle ergab sich so ein zusätzlicher Wettbewerbsvorteil für den, der industriell Bockwürste in Gläser steckt gegenüber dem, dessen Gattin dem kleinen Sohn der werten Kundschaft eine Scheibe Leberkäse über die Theke reicht.

Orange Overalls?

Auf den Präsidenten des Volksgerichtshofes Roland Freisler geht der noch heute gültige Paragraph 211 zurück. Anders als sämtliche anderen Straftatbestände, die objektiv nach Handlungen bestimmt werden, kodifiziert der Mordparagraph eine Straftat subjektiv über die Person des Täters.
Seit 1941 regelt der Paragraph 211 StGB: „Mörder ist, wer … „. Es folgen die mordqualifizierenden Merkmale Mordlust zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, andere niedrige Beweggründe, heimtückisch, grausam, gemeingefährliche Mittel, eine andere Straftat ermöglichen oder verdecken. Juristen fragen seit Jahren, wozu den Mord vom Totschlag unterscheiden?

Eine vom Bundesjustizminister eingesetzte Kommission schlug nach einjähriger Erörterung vor einem Jahr einstimmig vor, Mord künftig wie alle anderen Straftaten vom Tatbestand her und nicht mehr von der Person her zu bestimmen. Ein „Ausreißer“ im Strafgesetzbuch soll eingefangen werden.
In Leipzig hat sich ein Terrorverdächtiger durch Selbstmord weiteren Ermittlungen entzogen. Noch sind die Umstände nicht durchleuchtet, wie es dazu kommen konnte. Was falsch gelaufen ist, kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Die einen sehen bereits ein Totalversagen des Staates. Die Sachsen sind ohnehin dran. Andere, sie werden dafür von denen attackiert, die das Totalversagen behaupten, verweisen unter anderem auf die Fehlbarkeit psychiatrischer Gutachter und darauf, dass es gesetzliche Grundlagen und Grenzen für die Behandlung eines jeden U-Häftlings gibt. Gleich ob er ein Serienmörder wäre oder ein Millionenbetrüger. Kleinkriminelle, sie wurden für Vergleiche bemüht, um die Naivität eines Ministers und von Verantwortlichen der Leipziger Haftanstalt zu belegen, die bis zum Tag vor dem Selbstmord anerkannte Beamte des Justizapparates waren, bleiben in der Regel von der U-Haft verschont. Man frage dazu Polizisten in allen Bundesländern nach ihren Erfahrungen mit Haftrichtern. 
Aus dem jüngsten Fiasko für Politik und Ermittler in Sachsen soll nun die Konsequenz gezogen werden, für Terrorverdächtige eine Art Sonder-Untersuchungshaft zu ermöglichen. Ein neuer juristischer „Ausreißer“. Zu weiter nichts als zur Sicherung des Ermittlungsverfahrens soll ein Delikt, eine Deliktgruppe herausgehoben werden, weil der Staat ein besonderes Interesse an der neuen Art Täter hat, aber wenig Erfahrung im Umgang mit ihnen in der U-Haft. Für wie viele Verdächtige wäre diese rechtliche Neuregelung zu verabschieden. Zwischen 500 und 1200 Gefährder zählen BKA und Verfassungsschutz. Mehr als 100 Ermittlungen werden vom Generalbundesanwalt in diesem Personenkreis geführt.
Wie passt in diese Überlegungen, der Rechtsgrundsatz demzufolge ein Verdächtiger solange als unschuldig gilt, bis ihm seine Schuld zweifelsfrei nachgewiesen wurde. Soll zur Sicherung des Ermittlungsverfahrens die Möglichkeit geschaffen werden, einen psychisch stabilen Bombenattentäter grundsätzlich so unterbringen zu können wie in einer Ausnahmesituation einen akut Selbstmordgefährdeten? Der kann schon heute in einer Zelle, in der ohnehin nichts ist, womit er sich etwas antuen könnte,  auf der Pritsche gefesselt werden. In manchen Bundesländern 24 Stunden videoüberwacht. Wo bliebe in diesen Überlegungen das Gebot, selbst einem Terrorverdächtigen in der Zelle ein Mindestmaß von Privatheit zuzubilligen. Das steht ihm zu von Rechts wegen. Das ist keine Gefälligkeit für Kooperation.
Sollen für diese Art Untersuchungshäftlinge wahlweise reißfeste oder leichtreißende orange Overalls genäht werden, wie sie die Gefangenen in Guantanamo tragen, die mehr als ein Jahrzehnt einem Sonderjustizsystem der USA unterworfen wurden?

Stunde der Politiker

„Vor dem Gesetz sind alle gleich“, lautet ein Rechtsgrundsatz, dessen sich auch Erfahrungsjuristen zu erinnern vermögen. Und dennoch kommt vom Stellvertreter des sächsischen Ministerpräsidenten nach dem Tod des syrischen Terrorverdächtigen in Leipzig der Vorwurf der „brisanteste Gefangene“ sei behandelt worden wie ein Kleinkrimineller. Bei einem Mann, der bereit sei, sich mit einer Bombe in die Luft zu sprengen, sei mit Sicherheit davon auszugehen, dass er hochgradig suizidgefährdet sei. Woher seine Erkenntnis stammt, Albakr habe sich auf ein Selbstmordattentat vorbereitet, erläutert er nicht.
„Es ist offensichtlich zu einer Reihe von Fehleinschätzungen sowohl über die Bedeutung, als auch den Zustand des Gefangenen gekommen“, wildert der Wirtschaftsminister von der SPD im CDU-geführten Justizressort. Und greift dem Ergebnis einer mit Sicherheit kommenden Untersuchung des Selbstmordes und der Umstände, wie es dazu kommen konnte vor.
Der Psychologin, die Albakr untersuchte, sie ist seit 15 Jahren im sächsischen Justizdienst und dürfte einige Erfahrung mit Selbstmordkandidaten haben, wird tatsächlich vorgehalten, sie habe keinerlei Erfahrung Terroristen. Das muss ausreichen, um ihre Einschätzung über den geistigen Zustand des Untersuchungshäftlings in Frage zustellen. Er hat sich umgebracht, also muss sie sich geirrt haben, so die Logik. Ist aber kein Raum für die Frage, ob ein noch so erfahrener Psychologe in seiner Diagnose absolut sicher sein kann. Operiert er nicht nur mit Wahrscheinlichkeiten? Niemand kann in den Kopf eines anderen Menschen sehen.
Der frühere Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses verweist auf die versäumte Möglichkeit einer Video-Überwachung der Zelle in der Albakr untergebracht war um einen Selbstmord zu verhindern, um auf Nummer sicher zu gehen. Nur, das einschlägige Gesetz erlaubt die lückenlose Videoüberwachung von Strafgefangenen ebensowenig wie von Untersuchungshäftlingen. Es gereicht dem scheidenden CDU-Bundestagabgeordneten nicht zur Ehre, dass er sich vor der Pressekonferenz in Dresden befragen ließ, wo auf diesen Umstand hingewiesen wurde.
Quer durch die politischen Lager werden die sächsischen Sicherheitsbehörden abgewatscht. Sie stehen ja auch belämmert da. Zweimal ist ihnen Albakr entkommen. Als bestens ausgebildete Polizisten ihn festnehmen wollten, kurzfristig. In Leipzig für immer. Wenn einem sowas widerfährt, steht man als politisch Verantwortlicher mit dem Rücken zur Wand. Das ist unbestreitbar. Kann die Konsequenz aber sein, für Verdächtige wie Albakr Sonderhaftanstalten oder Sonderbedingungen in Haftanstalten zu schaffen, wie es auch die Stellungnahme der Grünen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag nahelegt? „Ein Blick in das Gesetzbuch verbessert die Rechtskenntnis“, ist noch so ein Satz für Erfahrungsjuristen.

Totentanz

Manchmal nehmen es  Politiker so, wie sie es brauchen. Insbesondere dann, wenn das Sujet emotionsbesetzt ist. Und was löst mehr Gefühle aus, als der Tod, der Selbstmord eines Menschen. Selbst wenn sich ein Mann getötet hat, der in Untersuchungshaft saß, weil er bei den Vorbereitungen zu einem terroristischen Anschlag ertappt wurde.Wenn das in Sachsen geschieht, schlagen die Wellen um so höher. Dann will man ohne Scheu mit einem Toten Politik machen.
In der SPD-Bundestagsfraktion spielt man dazu geschickt über die Bande. Der Abgeordnete Johannes Kahrs fragt: „Was ist denn schon wieder in Sachsen los? Irre.“ Kahrs schlug die Landsleute, die den mutmaßlichen Terroristen überwältigt und der Polizei übergeben hatten, für das Bundesverdienstkreuz vor. Ob er den Brief an die Ordenskanzlei des Bundespräsidialamtes noch abschickt, jetzt, da bekannt ist, dass, der Syrer die drei seine Mitwisser genannt hat? Der konservative Seeheimer Kreis der SPD echot seinem Sprecher mit „totaler Kontrollverlust der Behörden“ in Sachsen. So als sei der Ministerpräsident in Dresden kurz davor auszurufen: „Dann macht doch euern Krempl alleene!“
Der grüne Fraktionsvize im Bundestag, Konstantin von Notz, hält der sächsischen Justiz ein „Fiasko“ vor. Womit er zweifellos recht hat. Aber er steigert sich unnötigerweise noch und spricht von einem „grauenvollen Fehler“. So – Achtung, Kalauer -, als wüsste er nicht, dass die Justiz eine Binde vor den Augen trägt und folglich für die Gefangenen-Überwachung  ungeeignet ist. Aber als Politiker muss man wohl mit derartigen Abstrakta herumfuchteln. Das kracht schön und fällt leichter, wenn ein Minister einer anderen Partei in Erklärungsnot ist.
Stellt sich die Frage nach der Privatsphäre von Untersuchungshäftlingen?
 Ja. Nicht nur die Vorsitzende des Justizaussvusses im Bundestag wirft sie auf. In besonderer Weise.  „wie? #Sachsen #Albakr #ständigüberwacht“, twittert Renate Künast, nach Bekanntwerden des Selbstmordes. Fast eineinhalb Jahre zuvor hat sie zur Dauerüberwachung Selbstmordgefährdeter im Justizgewahrsam anders geurteilt. „Andauernder faktischer Schlafentzug durch sogenannte Selbstmordprävention zerstört den Menschen physisch und psychisch. Er ist eindeutig eine Verletzung der Menschenrechte und mit nichts zu rechtfertigen“.  So die Grüne als im April 2015 bekannt geworden war, dass ein inhaftierter früherer Konzernlenker wegen Suizidgefahr wochenlang in seiner Zelle Tag und Nacht überwacht wurde. Ein Kenner des NRW-Justizwesens schloss damals im übrigen aus, dass der Inhaftierte viertelstündlich aus dem Schlaf gerissen worden sei. Zum Öffnen seiner Zelle seien jeweils drei Wärter nötig gewesen.
Gibt es da Unterschiede zwischen deutschen Staatsbürgern und syrischen Verdächtigen?

Kandidatensuche

Möchte jemand Bundespräsident oder Bundespräsidentin werden? Derzeit wird der 200000-Euro-Job angeboten wie Sauerbier. Der Jurist Voßkuhle will nicht, heißt es, und die Theologin Käßmann auch nicht. Beide hat dem Vernehmen nach der derzeitige SPD-Chef ins Gespräch gebracht.
Unterstellt, beide Personalien sollten in aller Diskretion erwogen werden, muss man schon annehmen, dass mit den Indiskretionen aller Welt nicht die Kompliziertheit der Personalsuche für das höchste Amt gezeigt werden soll oder gar wie sorgfältig das Personal ausgesucht wird, das sich zur Wahl in der Bundesversammlung stellt.
Ist nicht die These plausibler, der SPD-Chef soll vorgeführt werden.
Als potentielle Bundeskanzlerkandidaten schiebt er andere so weit vor, dass selbst der EU-Parlamentspräsident als die bessere Alternative vorgezeigt wird. Dazu die zwei Absagen von Bundespräsidentenkandidatenkandidaten in Folge – er hat aber auch gar keine Fortune in dieser wichtigen Frage. Bei der Suche nach neuen Anwärtern nähert sich der SPD- Chef jenem Punkt an dem die Leute sagen: „Och nö, nich schon wieder“. Und dann noch die öffentliche Erörterung dieser Pleiten ohne dass etwas erfunden werden müsste. So festigt man nicht seine Position an der Spitze einer Partei, die mit der 20-Prozent-Marke ringt.