Strange bedfellows

Das möchte man als Gesetzgeber nun wahrlich nicht. Für ein Gesetz, das man selbst nicht gewollt hat, vom Bundesverfassungsgericht gezauselt werden, weil das Gesetz verfassungswidrig ist. Wie jetzt der Thüringer Gesetzgeber für eine Novelle des Waldgesetzes, das die Errichtung von Windkraftanlagen in Thüringer Wäldern untersagt.

„§ 10 Absatz 1 Satz 2 des Gesetzes zur Erhaltung, zum Schutz und zur Bewirtschaftung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft (Thüringer Waldgesetz ‒ ThürWaldG ‒) in der Fassung des Artikel 1 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Thüringer Waldgesetzes vom 21. Dezember 2020 (Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Thüringen vom 30. Dezember 2020 Seite 665) ist mit Artikel 14 Absatz 1 und Artikel 74 Absatz 1 Nummer 18 in Verbindung mit Artikel 72 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig“, heißt es im jetzt veröffentlichen Urteil vom 27. September. Mit aller Macht hatte sich R2G gegen den Entwurf der Liberalen gestemmt, dem die CDU Wucht verlieh. Im Landtag wurde die von FDP und CDU angezettelte Debatte von R2G am 31.1.2020 als Scheindebatte bezeichnet. Kalamitätsflächen im Wald – 100000 Hektar – wurden als geradezu ideale Standplätze für Windräder gepriesen. Dort, wo Borkenkäfer und diverse Stürme gewütet haben, würde so auf einzelnen Flächen kein Baum mehr wachsen. Die seinerzeitige Linken-Waldminister berichtete von Gespräche mit Waldbesitzern, deren Eigentumsrechte geschmälert würden – Karlsruhe führt das auch zur Begründung an. 180000 Waldbesitzer verfügen über 43 Prozent der privaten Waldfläche im Freistaat – 240000 Hektar. Kommunen kommen hinzu, der Bund und das Land. Thüringenforst ist der größte Einzelwaldbesitzer. Aber es gibt zuhauf Besitzer von Kleinstflächen. Aber der Minister führte zwei Freiherren, eine Fürstin und einen ehemaligen niedersächsischen Minister an, die gerne die Möglichkeit hätten, Windräder zu errichten.

Dann kam die übliche parlamentarische Befassung, Ausschusssitzungen, Anhörungen, ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes (2/20) wurde eingeholt. So nebenbei, darin steht, dass das Land, in der Angelegenheit keine Regelungskompetenz hat. Der Dienst kam letztendlich zu einer anderen Einschätzung als das Gericht. Doch als immer deutlicher wurde, dass CDU und FDP an ihrem Vorhaben festhalten würden, neigte R2G einem Ja zu.

Die Mehrheitsverhältnisse taten ein Übriges. Ohne Stimmen der CDU – die AfD soll immer außen vor bleiben – kann die Minderheitsregierung parlamentarisch nix ausrichten. „Misery acquaints a man with strange bedfellows“, Verzweiflung treibt einen Mann zu eigentümlichen Bettgenossen, weiß Shakespeare. Und die Verabschiedung eines Landeshaushalts ohne Regierungsmehrheit kann Misery provozieren. Die Grünen, SPD und Linke lehnten inhaltlich ab, stimmten aber absprachegemäß zu. Von fast erpresserischer Manier der beiden Fraktionen war die Rede – so umschreibt man eine Situation, in der man gezwungen ist, etwas zu tun, was man nicht will, weil sonst die Regierungsmacht flöten geht und in der Folge vielleicht das eigene Mandat.

Und jetzt das Urteil, das alles wieder auf Anfang bringt. Eigentlich haben alle bekommen, was sie wollten: FDP und CDU – bis jetzt – ihr Gesetz. R2G half sich mit der Zustimmung über die Unwägbarkeit hinweg, Hals über Kopf in vorgezogene Wahlen gestürzt zu werden. Und bekam nun nachträglich auch noch Recht.

Das alles kann ohne eigene Mehrheit im Parlament geschehen. Da kann die Regierung es gewiss verschmerzen, dass sie den Klägern gegen ein Gesetz, das sie nicht wollte, die Auslagen für den Gang nach Karlsruhe erstatten muss.

Nicht mal gut gemeint

„Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.“ Dieser Satz des Sozialdemokraten Kurt Schumacher wird hin und wieder von Politikern der verschiedensten politischen Lager zitiert. Beachtet wird er weniger, als dass er zitiert würde. Als seien moralischer Impetus und Wunschdenken wirkmächtiger.

Wie anders wäre zu erklären, dass in Deutschland Recht gesetzt wird, ohne die Grundlagen dafür im Auge zu haben. Wie jetzt geschehen mit der so genannten Gasumlage aus dem grün geführten Wirtschaftsministerium. Das bei den Gaskunden eingesammelte Geld soll an Gaslieferanten fließen, die Lieferengpässe bei Gas aus Russland, bisher gesichert durch längerfristige Verträge, ausgleichen müssen durch kurzfristigen teuren Zukauf .

Immer wieder wurde der Düsseldorfer Konzern Uniper vorgeführt, dem womöglich Insolvenz drohe und dadurch ein Zusammenbruch der Lieferketten für Erdgas. Vergleiche mit der Lehman-Pleite und die darauf fußende weltweite Finanzkrise von 2008 waren allgegenwärtig. Wer die Stellung des Gaslieferanten Uniper angemessen einschätzen wollte, war gut beraten, sich selbst zu informieren. So konnte man in Erfahrung bringen, dass hinter Uniper ein finnischer Konzern steht und hinter dem der finnische Staat. Und mit Gaslieferungen allein verdient das Unternehmen nicht sein Geld. Unter anderem gehören auch Kohle- und Kern- und Gaskraftwerke in den Konzern. Seit Kurzem ist Deutschland auch Anteilseigner.

Allein das wirft Fragen an der Angemessenheit der Gasumlage auf. Die Fragen verschärfte der Wirtschaftsminister jetzt, in dem er einerseits erklärte, an der Gasumlage festhalten, jedoch ausschließen zu wollen, dass Unternehmen sie in Anspruch nehmen können, deren Existenz über den Gaspreis hinaus vom Gaskunden mit einem im Abstand von drei Monaten zu prüfenden Aufschlag zu sichern sei. Vorerst bis 2024. In einem Auftritt vor Unternehmer machte der Minister jetzt deutlich, wie wenig durchdacht die Gasumlage von Anbeginn war. Jedes Unternehmen, das die Kriterien für die Gasumlage erfüllt, kann sich um seinen Anteil daran bemühen. Drohende Insolvenz wird offenkundig nicht aufgeführt. Der Minister dazu: „und eine Legion von Juristen hat mir das so erklärt, dass es nicht anders gehen kann.“ Befremdlich, wenn einem Minister – kein heuriger Hase – von Beratern nahegebracht werden muss, wie das in Deutschland so geht mit Recht und Gesetz.

Über diese unverzeihliche Schwachstelle kann der Minister auch nicht hinwegtäuschen, wenn er nachfolgend die Strukturen der einschlägigen Unternehmen im Undurchsichtigen, im Klandestinen ansiedelt. Von dort aus hätten sich selbst Unternehmen „reingedrängt“, „die nun wirklich viel Geld verdient haben und die Umlage der Bevölkerung nicht brauchen.“ Von „Schweinegeld“ war sogar die Rede. Nun, bei Uniper zum Beispiel liegen die Eigentumsverhältnisse nicht im Dunklen. Sie werden mit jedem Geschäftsbericht offengelegt. Das ist so vorgeschrieben.

Lange Rede, kurzer Sinn: Der Minister muss das mit heißer Nadel geflickte zentrale Element zur Sicherung der Versorgung von Industrie und Bevölkerung im Winter nacharbeiten. Ersatzweise sollen Unternehmen, die das Geld nicht brauchen, darauf verzichten. Das ist schon schick, erst einen Rechtsanspruch fixieren, und dann Vorständler den Hauptversammlungen zum Fraß vorwerfen wollen, wenn sie nicht zum Besten ihres Unternehmens agieren.

Eine Art Maßregelung

„Wer zwei mal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“. Der heute garantiert als genderpolitisch unkorrekt zu verwerfende Spruch war Kampfansage der 68-er Spontis der Alt-BRD an überkommene Beziehungsmodelle, im Prinzip an alles Bürgerliche. Reale Macht erlangte die linke Idee hingegen nicht, sie vermochte nicht die Massen zu ergreifen. Zur gleichen Zeit war der Vorwurf, bürgerlicher Dekandenz anzuhängen, diesseits des antifaschistischen Schutzwalls gleichbedeutend mit dem Ende hierzulande möglicher Karrieren. Es konnte das abrupte Ende der Schulzeit auf einer Erweiterten Oberschule sein, mithin das Ende des Traums von einem Studium. Oder es konnte das Ende einer künstlerischen Karriere bedeuten. Kunst wurde als Waffe im Kampf der Arbeiterklasse einegstuft. Kunst um ihrer selbst willen zu schaffen, l’art pour l’art, wurde als bürgerlich verteufelt, war bäh, unproletarisch. Und wer der Arbeiterklasse abhold war, dem konnte die Vorhut der Arbeiterklasse ein furchtbarer Herr sein. Links hat Probleme mit dem Bürgerlichen, mit den Bürgerlichen.

Umsomehr verwundert es, dass in dieser Woche Linke, SPDler und pseudonymer Anhang zu bestimmen versuchten, was in der Politik als bürgerlich benannt werden dürfe und was nicht. Anlass dazu hatte die Moderatorin der mdr-Sendung am Sonntag zu den Wahlen in Sachsen und Brandenburg gegeben. Sie hatte einen wichtigen sächsischen CDU-Politiker nach einer möglichen bürgerlichen Koalition von CDU und AfD in Dresden fragte. Die AfD sei nicht bürgerlich antwortete der kurz. Damit hätte es sein Bewandnis haben können. Eine Journalistin fragte in engem zeitlichen Korsett einer Life-Sendung. Man muss ihre Sicht auf die Dinge nicht teilen. Man kann sie ablehnen, man kann ihre Schwächen in der Gesprächsführung ansprechen. Alles ok.

Doch was kam? Aus dem Internet ins richtige Leben und aus dem richtigen Leben ins Internet wurde die Friedensfrage gestellt. Sie hat „bürgerlich“ gesagt.

Rasch wurde das Argumentieren in der Sache vom Argumentieren ad hominem, vom Zerfleddern der Person abgelöst. Sie als arglos hinzustellen, mag ja noch als harmlos durchgehen. „Was für ein Journalismus“, wurde von der Spitze des Beamtenapparats der Linkspartei ostentativ gefragt, soll wohl heißen, die Betroffene habe vor einer Kamera nix mehr zu suchen. Die Schnittstellen zu Wortmeldungen sind nicht zu übersehen, in denen Teilen des mdr – was ja wohl Journalisten meint – „ein Hang zum Faschismus“ bescheinigt wird. In einer Ferndiagnose wurde die Moderatorin als AfD-Sympathisantin geoutet. „Der mdr rollt den Nazis schon einmal einen roten Teppich aus“, twitterte ein WDR-Kollege. Ein NDR-Reporter forderte, der mdr solle sich von der Moderatorin distanzieren „oder nach Gesprächen mit Verantwortlichen ‚andere’ Konsequenzen ziehen“.

Nun kann man derartiges ja als Einzelmeinungen abtun, als bloßes Blubbern in der Internet-Blase. Aber den mdr trieb das alles immerhin zu einer Art Versuch einer Entschuldigung. Und das kann man auch schon als eine Art Maßregelung auffassen.

Volles Risiko

Macht man etwas falsch, wenn man als Abgeordnete des Thüringer Landtags in einer öffentlichen Anhörung zu einer Gesetzesnovelle von Rot-Rot-Grün eigenen Positionen zuneigende Anzuhörende fragt, was sie den gern im neuen Gesetzestext lesen würden. Man erweckt zumindestens einen mehr als unbeholfenen Eindruck, wenn einem wiederholt entgegnet wird, die Fragesteller seien doch die Herren des Verfahrens und frei, zu beschließen, was immer sie für nötig hielten.

Macht man etwas falsch, wenn man sich in der abschließenden Plenardebatte zu dem Gesetz zum parlamentarischen Arm der Diversen Bewegung ausruft. Ein gewisser Schlupf zwischen diesem Anspruch und Artikel 53 der Landesverfassung „Die Abgeordneten sind die Vertreter aller Bürger des Landes. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht ge­bunden und nur ihrem Gewissen verantwortlich.“ scheint da zumindest auf. Noch dazu, wenn Expertinnen in der Anhörung die Zahl der in Thüringen queer und divers Lebenden nicht zu benennen vermögen und eher hilflos die Arme heben, wenn sie gefragt werden, ob unter 20 eine solche Person zu veranschlagen sei oder eine unter zehn – Listenkandidaten für die nächste Landtagswahl, die im normalen Zyklus 2024 fällig wäre.

Es geht um das Parité-Gesetz, mit dem die Koalition erreichen möchte, dass der Achte Landtag fast fifty-fifty aus Männern und Frauen und einer eben derzeit nicht zu beziffernden Zahl Queerer und Diverser zusammengesetzt sein wird.

Erwartungsgemäß wurde das Gesetz verabschiedet, bei 80 anwesenden Abgeordneten mit 43 zu 37 Stimmen. Ein SPD-Abgeordneter, von Hause Jurist, stimmte gegen die Novellierung des Paragrafen 29 Thüringer Landeswahlgesetzes.

Bereits in der öffentlichen Anhörung Anfang Juni prognostizierte der Vorsitzende des Innenausschusses, dass das Gesetz „mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof landen wird“. Er verband mit seiner Prognose die Frage, O-Ton: „Wenn man diesem Gedanken folgen würde, dass man sagt, man braucht so eine höchstrichterliche Neubewertung …, dass man dann eher aus Parlamentssicht sagt, wir formulieren das, was politisch eigentlich gewollt ist – die Mehrheitsmeinung – und kommen dann auch tatsächlich zu einer verfassungsgerichtlichen Bewertung, ohne die es wahrscheinlich am Ende diesen Prozess auch gar nicht geben wird.“

Die Antwort des Anzuhörenden war die eines Juristen: „Das ist natürlich eine Frage der politischen Strategie, was Sie jetzt überlegt haben. Wir haben unsere Aufgabe jetzt erst mal darin gesehen, eine verfassungsrechtliche Bewertung zu geben,…“. „In der Tat, wenn Sie sagen, wir wollen mal die Grenzen austesten, kann man mehr reinschreiben und kassiert möglicherweise dann eben ein Urteil, das das Gesetz ablehnt oder sagt, an bestimmten Stellen sind Korrekturen erforderlich.“ Die Strategie abzuwägen, sei Aufgabe der Abgeordneten „und nicht die Frage an den Juristen, der das verfassungsrechtlich beurteilen muss.“

Die Abgeordneten der Koalition müssen herausgehört haben, das sei eine Frage, die die Abgeordneten der Mehrheitsfraktionen unter sich ausmachen könnten. Am Ende hören sie aber auch nicht auf den Wunsch, die paritätischen Listen mit einer diversen Person auf Listenplatz 1 zu eröffnen, folgend eine Frau, dann ein Mann, dann wieder divers und so weiter und so weiter. Eine frühere Linke-Abgeordnete im Bundestag regte als Anzuhörnde für diverse Personen die rechtliche Verankerung einer überraschenden Vorgehensweise an: „Man kommt am Samstag, beispielsweise dem 7. Juni, zur Aufstellungsversammlung, ist nach Personenstandsgesetz als diverse Person eingetragen und sagt, ich kandidiere heute bei dieser Versammlung auf der weiblichen Liste. Dann kann ich an diesem Tag nur auf der weiblichen Liste kandidieren. Komme ich auf die Liste, werde dort sozusagen gewählt, erscheine ich – deswegen ist mein Vorschlag auch, das noch mal in der Landeswahlordnung anzupassen – auf der Liste als diverse Person. Ich bin nicht mehr weibliche Liste oder männliche Liste, ich bin divers. Das heißt, ich muss mich für die Dauer der Aufstellungsversammlung von 20 Stunden/24 Stunden, wenn man mal Samstag und Sonntag nimmt, entscheiden, ob ich auf der weiblichen oder auf der männlichen Liste kandidiere. Danach bin ich „divers“ und kann in fünf Jahren auch auf der männlichen Liste kandidieren, also ich bin nicht festgelegt.“ Eine solche Wahlrechtsänderung, würde sie Realität, müsste man binären, heteronormativen Menschen, die auf Landeslisten ausschließlich für männliche/weibliche Listenplätze kandidieren können, sehr behutsam nahe bringen.

Die Koalitionsabgeordneten schrieben aber auch nicht weiblich/männliche, divers/männliche, divers/weibliche Tandems für die bislang 44 Wahlkreise fest. Sie mussten folglich auch nicht die Frage beantworten, ob die Tandems einer Partei angehören müssen, oder ob dem Wähler die Möglichkeit gegeben werden sollte, einen AfD-ler mit, sagen wir, einer Linken oder Grünen im Tandem in den Landtag zu schicken. Tandems würden den Neuzuschnitt der Wahlkreise, deren Vergrößerung, zur Voraussetzung haben, mithin nach sorgfältiger Abwägung ein Achtes Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes. Irgendwie scheint der Koalition das Zutrauen in die Verfassungsfestigkeit des eigenen Gesetzes an diesem Punkt ausgegangen zu sein.

Um das ein wenig zu übertünchen wurde in der Plenardebatte darauf verwiesen, von den Anzuhörenden hätte lediglich einer zur Verfassungskonformität Bedenken geäußert. Die 12 anderen seien für den Gesetzentwurf gewesen. Nun, das Protokoll verzeichnet 11 Anzuhörende. Von denen äußerten sich nur 5 zu den verfassungsrechtlichen Aspekten und selbst die vier Wohlgesonnenen machten auf Änderungsbedarf und Risiken aufmerksam. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Landtags, wie die anderer Landtage, sieht verfassungsrechtliche Risiken – über die kann tatsächlich nur der Verfassungsgerichtshof in Weimar befinden. Mit seiner Entscheidung steht oder fällt das rot-rot-grüne Vorhaben, Parität zwischen Männern und Frauen im Thüringer Parlament herzustellen. Derzeit sind 41 Prozent der Thüringer Abgeordneten weiblichen Geschlechts.

Streit um’s liebe Geld und um‘s Prinzip

R2G und AfD waren sich in ihrer Empörung einig. Die CDU wolle nur Wahlkampfgetöse verbreiten und Angst machen, weil sie im Thüringer Landtag eine Sondersitzung zum Thema Mitteldeutsche Kulturstiftung anberaumen ließ. Wahlkampfgetöse, gegen Ende der Aussprache nutzte sogar der Ministerpräsident dieses schönen Freistaates die ihm von der CDU in vorgeblich schändlicher Absicht gebotene Gelegenheit, seine Ansichten darzulegen.

Kurz beschrieben: Die Bundesregierung stellt Thüringen und Sachsen-Anhalt auf acht Jahre verteilt 200 Millionen Euro für die Sanierung von Burgen, Schlössern und Gärten in Aussicht. Bedingung Nr. 1: beide Länder müssen die betreffenden Liegenschaften in eine gemeinsame Stiftung überführen. Bedingung Nr. 2: beide Länder müssen die 200 Millionen Euro je zur Hälfte kofinanzieren. Wie es nach den acht Jahren weitergehen soll, dazu gibt es nur Andeutungen, es könnte weiter finanziert werden. Es könnte aber auch sein, dass der Bund nicht weiter finanziert. Der Wille, das Geld aus Berlin anzunehmen war bei den regierungstragenden Fraktionen unübersehbar auch wenn eine andere Organisationsform, mehr oder weniger stark ausgedrückt, bevorzugt worden wäre. Ohne es genau zu benennen, machte der berichterstattende Staatssekretär auf einen Positionswechsel der Landesregierung in einer grundsätzlichen Frage aufmerksam. In seinem Sofortbericht erinnerte er an die Bund-Länder-Debatte zum Digitalpakt. Er führte den baden-württembergischen Ministerpräsidenten an, der „klare Worte gefunden“ habe, „denen sich der Ministerpräsident unseres Landes angeschlossen hat“. Dass alle 16 Länder die ursprünglich zugrunde liegende Grundgesetzänderung blockierten, weil sie Eingriffe in ihre Finanzhoheit ablehnten, führte der Staatssekretär nicht aus. Bei den Berliner 200 Millionen und den Erfurter und Magdeburger 200 Millionen geht es im Grunde auch um die Finanzhoheit. Denn, finanziert der Bund weiter, müssen die beiden Landesregierungen auch weiter kofinanzieren. Finanziert der Bund nicht weiter, sitzen die Länder auf den künftigen Kosten. Und es geht dieses Mal zudem um die Kulturhoheit der Länder. Das sollte man auch in Erfurt spätestens dann bemerkt haben, als Schlösser, die für die Stiftung benannt wurden, abgelehnt wurden und man in Berlin auf Liegenschaften von nationaler Bedeutung bestand. In Rudolstadt, wo die Thüringer Schlösserstiftung ihren Sitz hat, wird man das Ganze mit Interesse bis Argwohn verfolgen, ist doch die Abwägung, ob die Stiftung mit der Mitteldeutschen Stiftung verschmolzen wird oder nicht, noch nicht abgeschlossen. Dieser Sachstand wurde in dem Bericht gleich zwei mal angeführt.

In der CDU bezweifelt man, dass mit der Entscheidung im Bundestag, das Geld bereit zustellen, schon die Entscheidung für das Konstrukt Mitteldeutsche Schlösserstiftung getroffen sei. Ihr Fraktionschef machte klar – mit Blick auf die Kulturhoheit Thüringens – dass er die Stiftung nicht wolle. Noch in der Debatte wurde aus den R2G-Fraktionen heraus behauptet, er wolle die 200 Millionen nicht. Umgekehrt könnte man argumentieren, aus dem Wunsch heraus, das Geld zu bekommen – die Thüringer Schlösserstiftung kämpft mit einem Sanierungsstau von über 300 Mio Euro -, ist man bei R2G eher bereit, sich den Vorstellungen in Berlin zu beugen. Immer wieder wurden Bundestagsabgeordnete zitiert, die den Eindruck erwecken wollten, die Stiftung sei bislang unerkannt in die Tafeln des Mose gehauen. Wie rasch man sich in dieser verworrenen Situation vertun kann, erhellte unbeabsichtigt der Staatssekretär, der in seinem Bericht Halle und Erfurt als die beiden Sitze der Stiftung ankündigte – eine Information, die noch während des Plenums vom aus familiären Gründen verhinderten Kulturminster und Staatskanzleichef wieder einkassiert wurde. Zumindest der Teil, der Erfurt betrifft. Oder wie die Rednerin der Linke, die in ihre Emphase der CDU vorhielt, eine CDU-Regierung habe seinerzeit Schloss Reinhardsbrunn verkauft. Und sie sei folglich verantwortlich für seinen gegenwärtigen, erbarmungswürdigen Zustand. Dabei war es die Treuhand, der die Liegenschaft, eigentlich kein Schloss, als nicht für den Geschäftsbetrieb notwendiger Besitz der Interhotel-Kette zugefallen war.

Es blieb dem Ministerpräsidenten vorbehalten, daran zu erinnern, wie die 16 Länder beim Digitalpakt eine ihrer Finanzhoheit entsprechende Regelung im Vermittlungsausschuss herbeiverhandelten. In einer Landtagssitzung, die fortlaufend als überflüssig bezeichnet wurde, die dann aber doch knapp drei Stunden dauerte.

Ohne Anhörungsfrist

Erneut hat ein Thüringer Verwaltungsgericht einer Ordnungsbehörde per Beschluss bescheinigt: „Die Verfügung der Antragsgegnerin vom 20.05.2019 erweist sich als offensichtlich rechtswidrig. Die Verfügung leidet an formellen Mängeln.“ (1 E 834/19 We). Das wäre nicht weiter tragisch ginge es nicht um Wahlplakate der NPD, stünden nicht Europa- und Kommunalwahlen bevor, hätte die Ordnungsbehörde nicht angewiesen, die Plakate sofort abzuhängen und hätte das Landesverwaltungsamt nach einer entsprechenden Äußerung aus dem Innenministerium die Kommunen nicht gebeten, gegen die Plakate vorzugehen. „Migration tötet“, wird darauf behauptet.

Die Ordnungsbehörde Ohrdruf hatte die Partei aufgefordert, die Plakate abzuhängen, ohne eine Anhörungsfrist einzuräumen. Ein Schreiben aus dem Landesverwaltungsamt als Handreichung erwähnt zwar die „Ansetzung einer angemessenen Frist“ und die „Androhung einer Ersatzvornahme“. Dass eine Anhörungsfrist nötig sei, wird nicht erwähnt. Das Weimarer Gericht hat sich ausschließlich mit Formalien des Ohrdrufer Bescheides beschäftigt. „In der Begründung des Bescheides“, so die Richter, sei „lediglich dargelegt, dass eine besondere Begründung erforderlich ist und diese durch Abwägung des öffentlichen Interesses mit dem Interesse des Rechtsschutzsuchenden zu ermitteln ist. Aus welchen Gründen die Antragsgegnerin hier ein überwiegendes öffentliches Interesse angenommen hat, ist jedoch nicht dargelegt.“ „Weder lag eine Gefahr im Verzug vor noch wurde durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt. Der Bescheid vom 20.05.2019 setzte dem Antragsteller für die Beseitigung der Wahlplakate eine Frist von zwei Tagen. Innerhalb dieser Frist wäre eine Anhörung, wenn auch mit kurzer Anhörungsfrist, möglich gewesen, die zu einer Heilung eines eventuellen Mangels bis zum Ablauf der Frist hätte führen können“, heißt es in dem Beschluss weiter. Eine Anhörung wäre auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des ordnungsbehördlichen Eingreifens aufgrund eines Verstoßes gegen § 130 StGB und damit einer Störung der öffentlichen Sicherheit nötig gewesen. Der Paragraph 130 des Strafgesetzbuches ist mit „Volksverhetzung“ überschrieben. Es könne offenbleiben, ob nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Wahlwerbung der Parteien aufgrund von Verstößen gegen die öffentliche Ordnung einschränkbar ist. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung dazu liege überdies noch nicht vor.

Mit der ähnlichen Behauptung „Multikulti tötet“ der NPD beschäftigte sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht Dresden (3B136/19) nachdem es Wahlplakate der mit der Aufschrift „Reserviert für Volksverräter“ als hinzunehmen eingestuft hat. „Dass eine Aussage scharf und übersteigert formuliert ist, entzieht sie nicht schon dem Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG“, so das Gericht. Das Wahlplakat verstoße „nicht evident gegen den hier allein in Betracht zu ziehenden Straftatbestand der Volksverhetzung. Im Gegensatz dazu sei „Multikulti tötet“ volksverhetzend. Durch „Multikulti tötet“ werde die Menschenwürde einer durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe dadurch verletzt, „dass diese Gruppe böswillig verächtlich gemacht wird“. Ein Thüringer Verwaltungsgericht wird gewiss zu keinem anderen Schluss kommen, wenn es denn gefragt würde.

Nachdem der erste Zugriff auf die Plakate erfolglos blieb, lässt, wie man hört, der Innenminister derzeit Polizisten die Plakate fotografieren. Die Fotos sollen als Beweismittel dem Thüringer Generalstaatsanwalt vorgelegt werden, der darüber entscheiden soll, ob der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt sei, und Polizisten die Plakate abhängen könnten. Viel Aktionismus angestoßen aus dem Innenminister. Das Urteil des Weimarer Gerichtes wäre damit nicht aus der Welt. Wie in ihrem Kampf gegen Nazikonzerte stehen die Thüringer Behörden nicht sonderlich gut da. Sie konnten bisher nur zwei Konzerte verhindern – auf Basis konkreter Umstände, die Entscheidungen auf verwaltungsrechtlicher Grundlage möglich machten. Derartiges Glück ist den Behörden nicht immer hold.

Heidewitzka

Man wird doch noch eine Debatte um die deutsche Nationalhymne anstoßen wollen dürfen, mag sich der Ministerpräsident dieses schönen Freistaates gedacht haben, als er von einer Tageszeitung aus den alten Bundesländern um ein Interview gebeten wurde.

Die Frage, die er mit seinen Überlegungen zur Notwendigkeit einer neuen Nationalhymne beschied, lautete: „Eine Bilanz zu 30 Jahre Mauerfall: Welche Errungenschaften der DDR wurden Ihrer Ansicht nach vom Westen zerstört und fehlen jetzt?“ Da hätte man eher die Erinnerung an Schwester Agnes erwartet – Achtung, es handelt sich hier um die Figur des DDR-Fernsehens einer Gemeindeschwester und keine Rapperin – und eine Beschreibung der Vorzüge von Polikliniken und all sowas. Das aber hatte er schon in Interviews zuvor häufig erklärt.

Nun also die Nationalhymne.

Es ist ja erst im vergangenen Jahr um den Internationalen Frauentag herum darüber debattiert worden. Sie müsse gendergerecht umgedichtet werden. Aus „Vaterland“ sollte „Heimatland“ werden. Unter anderem. Wurde nichts.

Wie zu erwarten gingen die Argumente zur Nationalhymne kreuz und quer. Leserumfragen in verschiedenen Zeitungen zeigten die weit überwiegende Zufriedenheit mit der derzeitigen, will sagen die Unzufriedenheit über den Vorstoß. Weil das Argument nicht richtig zu tragen vermochte, die Ostdeutschen würden die dritte Strophe des Liedes der Deutschen nicht alle mitsingen, griffen die Befürworter zu historischen Argumenten. 29 Jahre alten Argumenten. Es wurde daran erinnert, dass der erste frei gewählte Ministerpräsident der DDR – ein CDU-Politiker – in den Verhandlungen um den Einigungsvertrag auch über eine neue Nationalhymne sprechen wollte. Er wurde vom Bundeskanzler der BRD – ein CDU-Politiker – ausgebremst. Mit diesem Hinweis sollte der Widerstand in der heutigen CDU abgebügelt werden. „Seht her, damals dachte einer von euch so wie heute der R2G-Spitzenkandidat für die Landtagswahlen Ende Oktober in Thüringen“, sollte das wohl heißen. Brechts Kinderhymne wurde erneut ins Spiel gebracht – als könnte man die der Mehrheit in den alten Bundesländern vermitteln.

Mehr zur Unterhaltung trugen Schilderungen bei, der erste Bundeskanzler, er war vor dem zweiten Weltkrieg Oberbürgermeister Kölns, sei bei seiner ersten, 13-tägigen Reise in die USA im April 1953 mit dem kölschen Karnevalsschlager „Heidewitzka, Herr Kapitän“ als Hymne der Deutschen empfangen worden.

Schenkelklopfen.

Was nicht erwähnt wurde, der Alte aus Rhöndorf war zwar als Bundeskanzler auf Einladung des US-Präsidenten nach dreijähriger Vorbereitung angereist, aber als Regierungschef eines Landes für das ein Besatzungsstatut galt, das also nicht über die volle Souveränität verfügte. Es war also protokollarisch kein Staatsbesuch. Als solcher wird er auch in der Auftstellung der Reisen des ersten Kanzlers der Bundesrepublik in die USA nicht geführt. Doch gab es Gespräche mit dem Präsidenten, dem Außenminister, im Außenpolitischen Ausschuss des Senats. Am letzten Tag des offiziellen Teils dann ein Programmpunkt mit allen protokollarischen Ehren. Auf dem Nationalfriedhof in Arlington. Und dem Kanzler, begleitet von einem US-General, wurden bei der Kranzniederlegung am Grab der Unbekannten Soldaten von einem Fahnenkommando die schwarz-rot-goldene Flagge und das Sternenbanner hinterhergetragen. Kompanien aller Waffengattungen standen stramm. 21 Schüsse Salut erschallten. Und eine Militärkapelle intonierte das „Lied der Deutschen“.

Und „Heidewitzka“?

Wurde tatsächlich gespielt, zum Besuch bei der deutschen Community in Chicago, ganz am Ende der Reise, als der offizielle Teil längst beendet war.

Ganz kurz wurde auch die Antisemiten-Karte gespielt. Die Vorhaltung Hoffmann von Fallersleben sei ein Franzosenhasser und Antisemit gewesen, wurde in der hiesigen islamischen Community aufgegriffen und der Ministerpräsident retweetete die Wortmeldung. Wenn das ein ernsthaftes Argument gegen die Nationalhymne sein sollte, dann müsste auch eine lange Liste beliebter Kinderliedern aus der Feder Hoffmann von Fallerslebens aus dem öffentlichen Gedächtnis gestrichen werden. Eine kleine Auswahl: „Alle Vögel sind schon da“, „Kuckuck, Kuckuck, ruft‘s aus dem Wald“, „Summ, Summ, Summ“.

Noch ne Debatte

Ende März eine Debatte über die Ablösung der Kirchensteuer durch eine „Kultursteuer“ über deren Verwendung die Steuerpflichtigen – alle Steuerzahler – befinden könnten. Wenige Wochen später eine Debatte über die Zukunft der Nationalhymne. Der Ministerpräsident dieses schönen Bundeslandes vermag, Themen zu setzen, über die sich die Öffentlichkeit erregen kann. Kurz. Und die Debatten sind aussichtslos: die über die Staatsleistungen für die Kirchen, weil darüber zu verhandeln, zwar die Kirchen selbst bereit sind, aber Milliarden-Kompensationen verlangen können; die über die Kirchensteuer, weil für nötige Änderungen die erforderliche parlamentarische Mehrheit fehlt. Er wolle nicht fordern, er wolle ein Gespräch anregen, antwortete der Ministerpräsident Kritikern seined Vorstoßes.

Zur Nationalhymne ist derzeit auch nicht viel mehr möglich als ein mehr oder weniger belangloses Plaudern. Das Thema aber ist emotional besetzt. Mit widerstreitenden Gefühlen. Der MP deutete das mit seiner Begründung an, er singe zwar die dritte Stophe des Lieds der Deutschen, müsse dabei aber immer an Naziaufmärsche denken. Er meint, damit ein Argument dafür gefunden zu haben, dass sich die anderen, die mitsingen, ihm anschließen müssten. Die gedankliche Reihung Nazi, national, Nationalhymne kann man als Provokation auffassen, mindestens aber die Vermutung anstellen, der Thüringer Regierungschef habe 70 Jahre der deutschen Geschichte verpasst. Sein zweites Argument, im Osten, seiner neuen Heimat, sängen die Menschen größtenteils nicht mit. Daraus zu folgern, die Mehrzahl im Osten lehne die Hymne ab, die erst seit 29 Jahren ihre Nationalhymne ist, geht wohl fehl. Und überhaupt, wer zählt mit, wie viele Menschn in den alten Ländern nicht mitsingen.

Was bietet der Politiker zum Austausch an? Ein Kinderlied Bertolt Brechts von 1950, in dem ein gutes Deutschland in einer guten Umwelt besungen wird, das sich mit dem „Lied der Deutschen“ auseinandersetzt. Das muss er auf den Plätzen propagieren, dass ein Lied aus der alten DDR die neue Nationalhymne werden solle. Die derzeitige Diskussion zu seinem Vorstoß lässt vermuten, dass Unverständnis noch die freundlichste Reaktion sein wird. In Ost wie West. Rasch pauschalieren die Befürworter einer neuen Hymne, die Ablehner würden beißwütig kommentieren. Die propagandistische Platzierung der Hymne im Dritten Reich impliziert, es sei ein ewig Gestriger, ein Reaktionär, wer sie behalten will. Wie soll dagegen anargumentiert werden? Da genügt es nicht, darauf hinzuweisen, dass die Nazis nur die erste Strophe des „Liedes der Deutschen“ singen ließen und gleich danach das „Horst Wessel Lied“. So zumindest berichtete es mir mein Vater, Jahrgang 1927, Flakhelfer-Generation. Gut, man könnte nachschieben, es war ein Reichspräsident der Sozialdemokratie, der das Lied zur Nationalhymne machte, in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Fünf Jahre nach dem Ende der Nazi-Zeit holte Adenauer die Hymne aus dem Keller des Vergessens, genau genommen nur die dritte Strophe. Nach der Wiedervereinigung verabredeten Bundeskanzler und Bundespräsident, nur die solle Nationalhymne sein. Vor einem Jahr überstand die Nationalhymne den Versuch, sie bei Erhaltung ihres Versmaßes genderneutral umzuschreiben. Aus „Vaterland“ sollte „Heimatland“ werden, aus „… danach lasst und alle streben/brüderlich mit Herz und Hand“ sollte „… couragiert mit Herz und Hand…“ werden. Spricht darüber noch jemand?

Keine Empfehlung für Sprungbeförderung

Das Verhältnis zwischen dem Zeugen B und dem Untersuchungsausschuss 6/3 des Thüringer Landtags zur Lauinger-Affäre, zumindest seinem Koalitionsteil, kann man getrost als sehr angespannt bezeichnen. B gehört zu den Beamten aus dem Kultusministerium, denen im Zwischenbericht des Ausschusses – die CDU-Mitglieder verweigerten die Mitarbeit an dem Dokument – vorgehalten wird, sie hätten die Spitze des Ministeriums in der Causa Lauinger nicht sachgerecht beraten. B suchte bei Gericht sein Recht, doch wurde er mit seinem Antrag abgewiesen. Die Berichte eines Untersuchungsauschusses entziehen sich laut Untersuchungsausschussgesetz der richterlichen Würdigung. So suchte B eine Bühne im Ausschuss selbst. Und so kam es, dass der Ausschussvorsitzende den Zeugen drängte, so zu tun, als gäbe es den Zwischenbericht mit Wertungsteil nicht. Mehr oder weniger wirkungsvoll, stoppte der Linke-Abgeordnete gleich zu Beginn den Zeugen, wenn der auf Randziffern des Berichtes verweisen wollte, in denen er nicht richtig zitiert und seine Rolle nicht angemessen beschrieben worden sei. Die Zahl 1030 fiel dennoch, gleich zweimal, später auch die Zahl 1040. Ihm drohe Schaden, wollte er sagen, und deswegen sah er das Recht auf seiner Seite, seine Sicht auf den Abschlussbericht protokollieren zu lassen. Das sah der Ausschussvorsitzende anders und verwies den Beamten mit Nachdruck darauf, dass er nur zu den Beweisanträgen zu sprechen habe. So kam es, dass der Jurist, wenn er von seiner Vernehmung in einer Ausschuss-Sitzung zuvor nur von einer „öffentlichen Sitzung“ sprach und den Zwischenbericht ein „Papier“ nannte. Als er ein weiteres Mal in seinem Redefluss gestoppt wurde, bemerkte er mokant: „Ich wollte nur den Knopf drücken“. Zeuge B wollte nicht gefallen und gefiel auch dem Teil des Ausschusses nicht, der links vom Ausschussvorsitzenden sitzt. Er strapazierte die Geduld der R2G-Abgeordneten. Das Wort „Erbsenzähler“ fiel. Die Abgeordnete ARB fragte zurück, ob damit die Ausschussmitglieder gemeint seien. B antwortete mit einem klaren Ja. „Dann weiß ich, wie Sie zu diesem Untersuchungsausschuss stehen“, konterte die Abgeordnete.

Für eine Sprungbeförderung hat sich B nicht empfohlen.

In seiner neuerlichen Befragung lieferte er neue, pikante neue Details zu Vorgängen, die schon längst ausermittelt schienen. An dem viel zitierten Treffen im Juni 2016 im Büro der damaligen Ministerin nahm der Persönliche des grünen Justizministers teil. Er habe sich nur als Vertrauter des Justizministers vorgestellt, könnte man hören. Kein Name. Man stelle sich vor in einer solchen Runde sitzt ein Anonymus und beratschlagt mit, wie dem Wunsch des Justizministers nach einer möglichen Vorzugsbehandlung seines Sohnes nachgekommen werden kann, und wie das rechtlich zu untermauern sei. Als der Name des Aktentaschenträgers doch durchgesickert war, sei von oben bedeutet worden, der Name dürfe nirgendwo auftauchen.

Vertrauensschutz, so wie er als Begründung für das Vorgehen angeführt wurde, so der Jurist, könne es im konkreten Fall eines rechtswidrig ausgestellten Bescheides für einen Volljuristen nicht geben. Diese Rechtsaufassung scheint dem Justizminister geläufig zu sein, muss man vermuten. Hat er doch in seiner Pressekonferenz nach Bekanntwerden der Befreiung seines Sohnes von der Besonderen Leistungsfeststellung öffentlich treuherzig gefragt, wieso Vertrauensschutz für einen Juristen nicht gelten solle. Schaut man in einschlägige Literatur, so wird zu diesem Sachverhalt ausgeführt, dass der Begünstigte gutgläubig sein müsse, solle ihm Vertrauensschutz zugebilligt werden. Kannte er die Rechtswidrigkeit oder konnte er sie jedenfalls erkennen, so liest sich das, gibt es keinen Vertrauensschutz. Das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung gesetzlicher Zustände genieße Vorrang bei nichtmonetären Vergünstigungen, was hier der Fall ist. Der Minister ist Volljuristen mit Erfahrung als Richter. Gutgläubig kann er also nicht gewesen sein.

Die Staatsekretärin O., ebenfalls zum wiederholten Male vorgeladen, verwies zum Thema Vertrauensschutz darauf, sie sei viele Jahre in der Politik tätig und viele Jahre ehrenamtliche Sozialrichterin gewesen. Sie kenne den Begriff Vertrauensschutz durchaus. Zuvor war sie von der CDU-Seite gefragt worden, in welchem Schriftsatz, der die Entscheidung der Ministerin begründete, das Wort Vertrauensschutz auftauchte. Es wurde in keinem der erwähnten Schriftstücke und keiner der Mails gefunden. „Dann haben wir das mündlich kommuniziert“, sagte sie.

Harter Stuhl und Genderstern

So ungerecht ist die Welt der TV-Werbung.

Männer basteln an kleinen, zweisitzigen, roten Autos ohne Verdeck und gönnen sich danach ein Bier. Und sie haben Spaß daran. Frauen haben harten Stuhl oder entzündete Haarwurzeln im Intimbereich oder vaginale Trockenheit. Und sie leiden daran. Wenn es besser – aber nicht gut – zugeht, sind sie nur vergesslich oder chronisch ermattet. Viel Übles wird der Welt der Frauen zugeschrieben. Manchmal, nur manchmal, schreiten ausgesprochen schöne Frauen in aufwändigen Roben über den Bildschirm und riechen gut. In so einer Welt zu leben, muss hart sein.

Dabei könnte die Werbebotschaft mit dem Bier auch an Frauen adressiert werden, wie die mit dem Stuhlverhalten und den entzündeten Haarwurzeln im Genitalbereich auch an Männer gerichtet werden könnte. Auch Männer können vergesslich sein und chronisch matt. Ob es sinnvoll wäre, die Werbebotschaft mit der vaginalen Trockenheit an den Mann zu richten, darüber denken die einen so, die anderen anders. Die Medizin kann ja heute so viel bewerkstelligen. Sagen wir also, es ist eine Frage des Zeitpunktes.

Dass Werbung für Erwachsene gegendert wird, Proteste dagegen habe ich nicht vernommen. Anders als bei der, die sich an Kinder richtet. Da ist man schon falsch gewickelt, wenn Strampler dem alten Farbmuster für Babies folgen – rosa für Mädchen, blau für Jungs. „I love kisses“ auf Mädchen-T-Shirts ist weit, weit jenseits jeglicher Grenze. Was nicht heißt, dass es besser wäre, würde ein kleiner Junge in ein solches T-Shirt gesteckt. Mädchen spielen mit Autos, Jungen mit Puppen, das bereitet auf eine gegenderte Welt vor mit ihrem Schrifttum voller Sternchen und Lücken mit Unterstrich in Worten. Wenn sie dann Briefe schreiben können, können sie ja ihre Unkenntnis, ob Chris Lehmann-Müller ein Mann ist oder eine Frau mit der Anrede „Sehr geehrt* Chris Lehmann-Müller“ verschleiern. Damit umgingen sie zugleich den Zwang, ChrisX schreiben zu müssen. Unter Feministinnen wird derweil über die Bedeutung und Wirkung des Genderns gestritten.

Jahrelang haben Feministinnen darum gekämpft, dass Frauen als solche wahrgenommen werden. Nun soll im Interesse anderer Geschlechteridentitäten wieder Schluss damit sein. Fortschritt nennt das die eine Seite. Die andere Seite spricht vom Sargnagel für den Feminismus. Das klingt alles sehr unversöhnlich. Man muss, um das festzustellen, nicht einmal in Erwägung ziehen, dass Vertreterinnen der jungen Feministinnen der anderen Seite Rassismus vorwerfen, wenn die auf Gefahren des politischen Islam hinweist und unter anderem die Ereignisse am Kölner Hauptbahmhof in der Silvesternacht 2015 thematisiert.

Was sind dagegen entzündete Haarwurzeln und harter Stuhl?