Fragen, die hätten vermieden werden sollen

„Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“, wird in Brechts „Dreigroschenoper gefragt. Was wäre der Diebstahl von Erkenntnissen anderer gegen die Erfindung von Erkenntnissen? Das möchte man angesichts der Unzulänglichkeiten in der Studie zum Rechtsextremismus in drei ostdeutschen Städten fragen. Das Plagiieren hat etliche Politiker ihre Karriere gekostet. Jetzt ist die Politik damit konfrontiert, dass den Autoren der von der Ostbeauftragten der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Studie vorgeworfen wird, mindestens einen Interviewpartner erfunden zu haben und mindestens eine Befragte mit einem Pseudonym in die qualitative Studie eingeführt zu haben, die nach eigenem Bekunden nichts dagegen gehabt hätte, mit ihrem richtigen Namen benannt zu werden. Der Wert der Studie wird hinterfragt. Dabei sollten wissenschaftliche Studien doch allenfalls neue Fragen zum Forschungsgegenstand aufwerfen und nicht zu sich selbst. Und das ist passiert.
In dem Teil, der sich mit dem Erfurter Herrenberg auseinandersetzt, wurde mit nach ihrer Zahl nicht ausgewiesenen Teilnehmern (so weit geht die Anonymisierung) gesprochen. Wo im „sächsischen“ Teil zumindest Aliase verwendet werden, werden Teilnehmer in Erfurt als „politischer Akteur“ angeführt oder „lokale zivilgesellschaftliche AkteurInnen“ oder „Mitarbeiter der Partei DIE LINKE mit Schwerpunkt auf Rechtsextremismus“ oder ähnlich. Alle wollten anonym bleiben wie die Teilnehmer der Fokusgruppe, die auf dem Herrenberg leben. Sie heißen im Text unter anderem Frau Streif, Frau Acht oder Herr Tech. Auch Mobit e.V wird aufgeführt, so als könnte man eine Organisation befragen. Nur der Thüringer Ministerpräsident wird namentlich ausgewiesen. Der wurde interviewt, sollte als gegeben angenommen werden. 
Mit Eile begründete das Göttinger Institut für Demokratieforschung die Mängel  im „sächsischen“ Teil. Vorwürfe, ein führender Mitarbeiter der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen sei erfunden worden, weist ein Institutsvertreter zurück. Es gebe jeden Interviewpartner, nur seien deren Namen verfremdet worden. Vorhaltungen der Landeszentrale, der Mitarbeiter werde „an fünf Stellen zitiert, mit Positionen, die Sie niemals aus unserem Haus hören würden“, entkräften die Göttinger Sozialforscher in einer versuchten Klarstellung nicht. Der leitende Mitarbeiter, dem der Name Reese gegeben wurde, hatte die schützende Wirkung der Mauer gelobt und wird mit der Feststellung zitiert: „Die Monarchiezeiten waren nicht die schlechtesten.“ Das sind keine Bemerkungen, die sich wie Nestbeschmutzung anhören. Nun stehen auch Fragen gegeneinander, ob ein führender Mitarbeiter einer Landeszentrale für politische Bildung in einem solchen wissenschaftlichen Umfeld Anonymisierung beanspruchen sollte oder ob der Kampf gegen rechtsextremistische Positionen nicht zu seinem Aufgabengebiet gehöre. Der wissenschaftliche Wert wird angesichts der in Zweifel gezogenen Methodik in Frage gestellt. Das ist fatal, da die Studie ja von sich behauptet, sie sei für die Erforschung des ostdeutschen Rechtsextremismus auch in methodischer Hinsicht bedeutsam. In die Nähe eines Skandals rückt die Beschreibung der Unionsfraktionschef im Bundestag. Sein Thüringer Amtskollege fordert von der Auftraggeberin, „die politische Verantwortung zu übernehmen“. Die sieht keinen Grund für Zweifel an Inhalt und Methodik. 

Eher Selbstbestätigung als Diskussion

Das Neue begann mit Verspätung. 10 Minuten. Also nicht das Neue an sich, sondern die Debatte darum, wie das Neue zu erreichen sei. Das Institut solidarische Moderne – ein rot-rot-grüner Think Tank – hatte am Vorabend seiner Mitgliederversammlung zur Debatte ins Erfurter Haus Dacheröden geladen und es kamen erwartungsgemäß Anhänger von Rot-Rot-Grün. Der Chef der Erfurter Staatskanzlei, die Grüne Bundessprecherin aus dem Saarland, die Juso-Landesvorsitzende aus Berlin und diverse Anhänger und Mandatsträger der drei Parteien. Nach länglichen Einführungen aus dem Podium unter anderem über die Vorteile einer Dreier-Koalition gegenüber einer mit nur zwei Partnern, zu Startschwierigkeiten der SPD-geführten Koalition Berlin und dass Jamaika in Saarbrücken gar nicht gehen konnte, sollte diskutiert werden, konnten Erklärungen abgegeben werden, aber nicht länger als drei Minuten. 
Aber es wurde nicht diskutiert, allenfalls miteinander geredet. Die kritischsten Anmerkungen waren der Verweis auf die derzeit erhobenen Stimmverhältnisse, die Rot-Rot-Grün ohne Mehrheit sehen und der Hinweis, dass es für eine Koalition mit der SPD kaum Anknüpfungspunkte gebe. Das meiste hörte sich an wie Selbstbestätigung, gar wie Autosuggestion. Da wurde errechnet, wie viele Menschen seit dem Herbst 2015 sich für Flüchtlinge engagiert haben. 8 Millionen, 10 Millionen wurden gezählt. Und man machte sich Gedanken darüber, wie sie für Rot-Rot-Grün zu gewinnen seien. Als wäre Menschlichkeit ein Charakterzug ausschließlich von denen, die in ein neues Deutschlands streben und nicht auch anzutreffen bei Wählern, die sich viel lieber als konservativ oder liberal beschreiben würden. Kein nüchterner Verweis aus dem Teilnehmerkreis auf diesen Umstand, was man ja hätte erwarten können.
Das Institut will mit zwei Papieren den Meinungsaustausch innerhalb der drei Parteien vorantreiben. Eines davon heißt „Neu beginnen Das Unmögliche versuchen“. Von den Erfurter Organisatoren wurde der Titel gelegentlich der Einladung zu der Veranstaltung zu „Demokratie neu beginnen“ erweitert. Was mit der „alten“ Demokratie  geschehen soll und wie sie zu beenden sein, wird ebensowenig gesagt, wie erklärt wird, warum am Neubeginn eine juvenile Mènage á trois in einer Badewanne gewagt werden sollte, wie das laszive Foto auf der Titelseite suggeriert. Auch dazu gab es keine Diskussion unter frauenbewegten Teilnehmerinnen. 

Der Herrenberg: Rechts ist, wo links ist

Feldforscher des Göttinger Institutes für Demokratieforschung suchten für die Ostbeauftragte der Bundesregierung unter anderem auch im Erfurter Wohngebiet Herrenberg nach den Ursachen für die bei den dort Lebenden festgestellte vorherrschende rechte Gesinnung. Beim Betreten des Expeditionsgebietes wurde der Wissenschaftler gleich in die richtige Stimmung versetzt. An einem kleinen Durchgang, so schildert er in der Studie, steht „ein junger Mann, vielleicht 26, 27 Jahre alt. Er schaut herüber, der Forscher schaut zurück und blickt in Kontaktlinsen, die ein schwarzes Reptilienauge mimen. Sein Gesicht ist um die Mundpartie gepierct und er trägt ein schwarzes Cap mit eingeknicktem Schirm. Die Kleidung ist komplett in Schwarz gehalten – sowohl die weite Hose als auch die dicken Sneakers sowie das T-Shirt. Nur einen Farbtupfer gibt es: „White Power!“ prangt schräg auf der Brust, passend dazu die Tattoos, eine „88“ und Haken, deren Zusammensetzung man nicht genau erkennen kann. Jenseits des Durchganges kann sich nur Unerhörtes tun. 
Der Forscher findet ein „Problemviertel“ mit 7937 Einwohnern. In dem werde zwar mehrheitlich rechts gedacht, doch wurde dort bei der jüngsten Landtagswahl 2014 ein Linke-Politiker in den Landtag gewählt. Auf dieses Paradoxon macht Studie aufmerksam: „Lockte diese klare Konstellation schon in Erfurt insgesamt nur 54,8 Prozent der WählerInnen an die Wahlurnen, so waren es auf dem Herrenberg lediglich 31,9 Prozent. Kam DIE LINKE in Erfurt auf 33,5 Prozent, so entfiel auf dem Herrenberg nahezu jede zweite abgegebene Wahlkreisstimme (48,0 Prozent) auf DIE LINKE, während die NPD zugleich 6,2 Prozent der Stimmen erringen konnte (gegenüber 3,5 Prozent im gesamten Stadtgebiet). Somit stellt DIE LINKE mit André Blechschmidt den Wahlkreisabgeordneten des Wahlkreises 27 (Erfurt IV), während auch die NPD mit David Ammon ein Mitglied in den Ortsrat entsendet hat.“ Blechschmidt wurde das zweite mal in Folge direkt gewählt. Bereits bei der Landtagswahl zehn Jahre zuvor hatte die damalige PDS den Wahlkreis der CDU „abgenommen“. Man könnte also vermuten, der Herrenberg bildet mit dem Wiesenhügel zugleich auch eine PDS/Linke-Hochburg. Die Linke errang 2014 35,7 Prozent der Zweitstimmen. Die Partei konnte damit gegenüber 2010 sogar um 3,5 Prozent zulegen. Die NPD kam auf 2,9 Prozent. Sie verlor 1,1 Prozent. Was dem Auftreten der AfD geschuldet sein dürfte. Die erhielt 9,3 Prozent. Der linke Kandididat erhielt nicht gleichmäßig über die Urnenwahlbezorke im Wahlkreis verteilt seine Stimmen. „Regional betrachtet gewinnt Herr A. Blechschmidt, DIE LINKE, die Majorität in allen Urnenwahlbezirken der drei Plattenbaustadtteile Melchendorf, Wiesenhügel und Herrenberg und den Großteil der Wahlbezirke des städtischen Stadteils Daberstedt, wird in Heft 89 der Erfurter Statistik vermerkt. Dabei erringt er in mehreren Wahlbezirken auf dem Herrenberg wie auf dem benachbarten Wiesenhügel mehr als 50 Prozent der abgegeben Stimmen. Auf dem Herrenberg errang die Linke fast 45 Prozent der abgegebenen Zweitstimmen. Und während die Wahlbeteiligung im Wahlkreis um 4,6 Prozentpunkte auf 54,6 Prozent zurückgegangenes, vermerken die Wahlstatistiker zum Wahlkreis, bewirkt dieser Rückgang, „dass der Anteil der Landesstimmen bei der CDU um 1,0 Prozentpunkte und bei der Partei DIE LINKE um 3,5 Prozentpunkte angestiegen ist“. 
Dem Paradoxon wird nicht nachgegangen. Dabei wäre die Frage doch interessant, wie in einer von Rechten geprägten Umgebung, einem, wie in der Studie ausgebreitet wird, perspektivlosen Stadtteil, Linke seit der Jahrtausendwende beim Wähler Erfolg haben. „Die Wahlkreisbewerber der Partei DIE LINKE konnten seit 1999 stets etwa 7200 Wähler motivieren, ihre Stimme damit zu vergeben“, registrierten die Statistiker. Abseits von Kammwegklause, Volksgemeinschaft e.V. und rechten Kümmerern und Indoktrinierern muss es noch etwas anderes auf dem Herrenberg geben. 

Verlierer sind keine Gewinner

Ist der eigentliche Wahlsieger der NRW-Wahl 2017 die Partei Die Partei? Das sind die, die mit dem Verkauf von Geld den Verkauf von Gold durch die AfD parodieren und etwas stärker von der Parteienfinanzierung durch den Bund profitieren wollten. Letztmalig vor der Landtagswahl machte die Partei Die Partei Furore, als sie den Vater des Parteichefs, der immerhin im Europaparlament einen Sitz hat, zur Wahl des Bundespräsidenten präsentierten. Dann, am 14. Mai, konnte die Partei Die Partei ihren Erststimmenanteil vervierfachen (2012: 6362; 2017: 25919). Gegenüber 2012 bekam die Partei mehr als doppelt so viel Zweitstimmen (2012: 22915; 2017: 55019). Hat jemand einen Vertreter der Partei die Partei für sich reklamieren hören, man gehöre zu den Wahlgewinnern? Nein. Es würde zwar als subtiler Scherz aufgefasst werden können, wie anders bei einer Spaßpartei. Aber es wäre doch nichts anderes als ein politischer Witz.
Nicht anders als bei einem sportlichen Wettbewerb ist bei einer Parlamentswahl der Zweitplatzierte schon der erste Verlierer. Er könnte zwar darauf verweisen, nicht das schlechteste aller Wahlergebnisse eingefahren zu haben und in den zurückliegenden Monaten auch zigtausend neue Mitglieder gewonnen zu haben. Er taugt bei den nachfolgenden Verhandlungen zur Regierungsbildung – wenn er nicht fähig ist, aus machtpolitischem Kalkül heraus eine alternative Koalition jenseits des eigentlichen Wahlgewinners zu formen – aber nur zum Juniorpartner ohne Richtlinienkompetenz. Gut, an der Parteispitze würde es Veränderungen geben, zumal, wenn man aus der Regierungsverantwortung gewählt worden wäre. Der Zweitplatzierte könnte sich aber noch glücklich schätzen, als parlamentarische Opposition wahrgenommen zu werden. Er würde in Landtagsdebatten gehört. Parteisoldaten und deren Wasserträger würden für die nächste Legislatur staatlich alimentiert. Seine parlamentarischen Experten würden gefragt werden, wenn die Medien eine Gegenposition zur Regierungspolitik verdeutlichen wollten. Aber das erklärte Ziel Regierungsverantwortung wäre nicht erreicht. 
Wie weit ist dann die Behauptung man gehöre zu den Wahlgewinnern von der Wirklichkeit entfernt, wenn sich zwar – bei gestiegener Wahlbeteiligung – die Wählerzahl fast verdoppelt hätte, aber der Sprung ins Parlament nicht geschafft wurde. Noch dazu, wenn am anderen Rand des Parteienspektrums einer anderen Partei das aus dem Stand gelungen ist, was man nicht gut finden muss. Sich als Sieger zu bezeichnen, ist dann nicht mehr als weiße Salbe.

Bereit zur Jagd auf Hühnerdiebe

Sag‘ einer, in einem Untersuchungsausschuss gebe es keine Zerstreuung. Der Untersuchungsausschuss 6/1 „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“ des Thüringer Landtages bot in seiner 30. Sitzung reichlich davon. Gut, dem Aufklärungsziel – der Aufklärung von Verquickungen des Rechtsextremismus mit der organisierten Kriminalität – kam man nicht sonderlich näher. Die gab es nicht, so zwei befragte Kripo-Beamte. Dafür plauderten sie aus den Anfangsjahren des LKA. Wenig Rühmliches berichteten die ehemaligen Volkspolizisten. Sie beschrieben ein Amt, das in seinen ersten Jahren eher für die Jagd auf Hühnerdiebe geeignet schien, denn für den Kampf gegen Schwerkriminelle. „Der Westen hat uns nicht die besten Leute geschickt“, so der eine. Der erste Leiter der Abteilung 6, zu der sein Dezernat für Sonderermittlungen, die Bildung von SoKo, besondere zugewiesene Aufgaben und die Bekämpfung der organisierten Kriminalität gehörte, sei ein „braungebrannter Sunnyboy gewesen, der sich alles angehört habe, genickt aber nichts gemacht habe“. „Wenn jemand es in 30 Jahren in der altbundesdeutschen Polizei nur zum Oberkommissar gebracht hat, nur Teil-Ermittlungen führte, selbst an der Leine geführt wurde, und zwar an einer kurzen, und dann Menschen führen soll, das kann nichts werden.“ Der Zeuge berichtete unter anderem von Pannen bei der Gewinnung eines Informanten, vom Kampf gegen Falschgeldkriminalität, bei der Anfang der 90er Jahre 1000-D Mark-Scheine in nennenswerter Zahl von verbreitet werden sollten. Ermittlungsschwerpunkt war Jena. Ermittlungsgegenstand seien sogar betrügerische Immobiliengeschäfte in Hongkong wenige Jahre  vor dem Ende der britischen Kolonialherrschaft gewesen.
Die anfängliche Unterstützung seiner Arbeit endete um 1995, mit einem neuen LKA-Präsidenten, einem ehemaligen Verfassungsschützer aus Niedersachsen. Ende des Jahres sei er dann mit seiner Sekretärin allein im Dezernat. Manche der Schilderungen der eigenen Arbeit mögen sich sehr selbstbewusst angehört haben. Doch die Begründung dafür, weshalb das LKA seine Schlagkraft verloren habe, ist ernüchternd: „Wenn der Chef keine Ahnung hat, die Leute verunsichert sind und nicht so ne große Klappe haben wie ich ich, dann machen die das, was der Chef will.“ Da musste schon mal ein LKA-Mitarbeiter mit einem Kilogramm Plastik-Sprengstoff und Zündern im Zug die Rückreise vom Ort des Testkaufes nach Erfurt antreten. 9 weitere Kilogramm wurden später bei einer Razzia sichergestellt.
Der zweite Polizist berichtete davon, wie Ermittlungen gegen die organisierte Kriminalität ausgebremst wurden, als Mitte der 90er Jahr die Landeshauptstadt in den Fokus rückte. Für verdeckte Ermittlungen, so der Beamte, „wurden Personen aus der rechten Szene genutzt“. Die hätten leicht in der Erfurter Szene Fuß gefasst. Es fallen die Stichworte Rotlicht, Russenmafia, Gastwirt. Unbekannt ist der Themenkomplex nicht. Die von ihm geführten Protokolle seien in einem für die Staatsanwaltschaft erfolglosen Verfahren wegen Geheimnisverrats gegen ihn genutzt worden.
Noch aufregender ist die Schilderung des Falles eines seinerzeit bundesweit bekannten Neonazis, der von einem Geschäftsmann 2000 oder 2001 mit einem Mord an dessen Frau beauftragt wurde. Der Mann berichtete auch von beim Umzug des Innenministerium gestohlenen Festplatten. Bei der Polizei wollte er aber nicht mehr aussagen. „Der hatte Angst. Das konnte man sehen“. V-Leute des Verfassungsschutzes hätten ihn bedroht. In der Wohnung seiner Mutter protokollierten der Zeuge und ein Kollege, was der mit mehreren Betrugsverfahren überzogene Neonazi auszusagen hatte. Sehr glaubhaft sei der in seinen Schilderungen gewesen, obwohl er allgemein viel erzählte, wenn der Tag lang war. Als das von beiden Polizisten unterschriebene Protokoll auf den Dienstweg gebracht worden war, „ist man erst mal durchgedreht in der Polizeiführung im Ministerium.“ Ein Ministerialer habe sich in die Dienstelle bemüht und dort verlangt, das Protokoll aus dem polizeilichen System zu löschen. Das Original des Dokumentes rüde eingezogen. Der Überbringer musste erklären, ob es es gelesen habe.  Das Papier sei in die Akten diverser Strafverfahren eingeflossen und 2012/2013 noch einmal Gegenstand von Erörterungen in der Thüringer Polizeiführung gewesen. Erhöhte Aufmerksamkeit bei den Ausschussmitgliedern löste der Polizist aus, als er erzählte, er habe im Zuge der Ermittlungen gegen das NSU-Trio BKA-Mitarbeitern bedeutet, das Protokoll müsste im Licht der bekannt gewordenen Fakten neu eingeschätzt werden. Als es aufgesetzt wurde, war die Fahndung gegen das NSU-Trio aktuell. Wenig später wurde dem Kripo-Mann eine neue Aufgabe zugewiesen.

Verkalkuliert

Entzaubert. Abgewählt. Die zweite Wahl seit der 100-Prozent-Nominierung des Arbeiterkaisers ging für die Sozialdemokraten verloren. Nicht stärkste Fraktion im Landeshaus in Kiel, ergo keine erfolgversprechende Aussicht auf einen Auftrag zur Regierungsbildung, den Einzug der AfD nicht verhindert. Und obendrein eher den Wähler-Hinweis bekommen, das rot-rot-grüne Projekt in NRW und in Berlin nicht ins Schaufenster zu stellen. Die Linke verpasste den Einzug in Schleswig-Holsteins Landesparlament. Schon ist latenter Druck der Erfolglosen auf den Wunschkoalitionspartner Grüne zu vernehmen, nicht mit CDU und FDP zu koalieren. 
Wann beginnt nach der neuerlichen Niederlage das Nachdenken darüber, ob der richtige Mann zum SPD-Chef und zum Spitzenkandidaten für die Wahl am 24. September gemacht wurde. Da wird es umso mehr schmerzen, dass die Grünen vom Niedergang des großen Koalitionspartners nicht wesentlich in Mitleidenschaft gezogen wurden. Es war eine Landtagswahl mit besonderen Vorzeichen, analysieren die Sozialdemokraten. Sie müssen nachdenken und das Ergebnis kann nicht einfach sein, lediglich darauf hinzuweisen, der abgewählte Ministerpräsident habe in der persönlichen Präsentation zu viele oder zu große Fehler gemacht. Dass er noch mal am Tag vor der Wahl darauf hinwies, doch besser den zu wählen, der es fünf Jahre besser gemacht habe als der Newcomer von der CDU, also ihn, hat nicht gezogen. Personelle Konsequenzen, dazu bedarf es keiner Prophetie,  vorauszusagen, werden nicht an der SPD-Spitze gezogen werden. Aber die Sozialdemokraten müssen umdekorieren.
Für die Linke, war es nicht erfolgbringend, an Ängste der Wähler zu appellieren und alles, was jenseits einer linken Regierungsbeteiligung angestrebt wurde, als „rechts“ zu denunzieren. „Wer eine rechte Mehrheit im Parlament verhindern will, muss die Linke rein wählen“, hatte der Linken-Wahlkampfmanager im Internet plakatieren lassen. Das ist mehr als bloßes Wahlkampfgetöne. Nun muss die Partei argumentieren, warum Schwarz-Rot, oder gegebenenfalls die Verlierer-Ampel – wenn die Grünen nicht mit der CDU und der FDP eine Regierung bilden wollen – Rechtskoalitionen sein sollen. Mit Sozialdemokraten und Grünen hätte man ja gern das r2g-Projekt nach Kiel getragen und nach Düsseldorf und Berlin will man es auch noch tragen. Zwischen Linken und Rechts liegt immer noch die Mitte. 

Auf der Schanze

R2G und die oppositionelle CDU graben sich im Landtag ein. Im Streit um Zensurvorwürfe gegen Landtagspräsident und -Direktorin wurde von der Koalition der Beschluss durchgesetzt, den Justizausschuss mit der Klärung von Auslegungsfragen zum Paragrafen 114 der Landtagsgeschäftsordnung zu beauftragen. Der Ausschuss soll mit – davon kann man getrost ausgehen – Mehrheitsbeschluss klären, wie weit das Informations- und Auskunftsrecht der Abgeordneten gegenüber der Landtagsverwaltung geht und was der Landtagspräsident darf und was nicht. Die Koalition will erreichen, dass ihr über die verschiedenen Fassungen eines Gutachtens des juristischen Dienstes hinaus auch Telefonnotizen und Protokolle der mit dem Gutachten befassten Mitarbeitern ausgehändigt werden. Die Rechtsauffassungen zu beiden Fragen gehen weitestmöglich auseinander.

Zugleich sollen auch drei externe Juristen neben diesen Fragen klären, ob es für die Landtagsverwaltung, ähnlich wie für ein Ministerium, einen geschützten Bereich der exekutiven Eigenverantwortung gibt. R2G bestreitet das entschieden. Dennoch wurde in der heftig geführten Debatte aus der Koalition heraus der Landtagsverwaltung vorgeworfen, sie sei das letze „CDU-geführte Ministerium“. Eine polemische Übertreibung, sicher, aber nicht das einzige schiefe Bild und nicht die einzige ungerechtfertigte Vorhaltung. Von den Linken wird weiter unbeirrt behauptet, der Landtagspräsident habe die Kommission eingesetzt. Doch es war der Vorstand, zudem gehören ein SPD-Vizepräsident und eine Linken-Vizepräsidentin. Die Grünen erregten Empörung bei der Opposition, als von ihrer Seite erklärt wurde, zu Beginn der Legislatur hätte man auch einen R2G-Landtagspräsidenten durchsetzen können. Mithin sei der derzeitige aus den Reihen der CDU aufgrund eines „Gnadenaktes“ der Koalition im Amt. In der CDU-Fraktion orakelte man lautstark ob nach der Grünen-Wortmeldung nicht zu vermuten sei, dass das Amt des Landtagspräsidenten Manövriermasse bei den Koalitionsverhandlungen gewesen sei. Paragraf 2 der Geschäftsordnung regelt in Absatz 2 aber: „Die Wahlen erfolgen auf Vorschlag der Fraktionen unter Beachtung ihres Stärkeverhältnisses, das sich nach dem Rangmaßzahlverfahren bestimmt, mit der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen.“ Dass die stärkste Fraktion den Landtagspräsidenten stellt, ist also mehr als nur eine Gepflogenheit. Vor allen Dingen ist es keine Gunst, die man nach politischem Gutdünken zu gegebener Zeit wieder entziehen kann.  Von der SPD wurde der Landtag kurioserweise mit einem Krankenhaus verglichen, das zwar auch ein Verwaltungsdirektor habe, der aber nicht festlege, wie die Ärzte zu operieren hätten. Das sollte das Verhältnis der Landtagsdirektorin zum Landtag, den Fraktionen, den Abgeordneten verdeutlichen. Unbestritten war, dass jeder Abgeordnete jederzeit sich auf die Neutralität der Verwaltung verlassen können muss. R2G sieht dieses Prinzip verletzt.

Nachdem alle Vorwürfe und Argumente ausgetauscht sind, steht der Landtag in seinem Bemühen, die Stellung der Abgeordneten zu klären und in der Beschäftigung mit sich selbst vor mindestens zwei Problemen. Präsentieren die Regierungsfraktionen das beim Justizausschuss beauftragte Gutachten vor den drei externen Juristen, laufen sie Gefahr mit Mehrheit, mit politischem Willen, etwas beschlossen zu haben, was dem juristischen Urteil nicht stand hielte. Auch Mehrheiten können irren, sie müssen nur verbissen genug etwas verfolgen. Wollte man in der Linken-Fraktion diesem nicht auszuschließenden Problem vorbeugen, als man erneut die Kommission in Frage stellte, auch mit Verweis darauf, dass mit dem ehemaligen SPD-Innenminister ein Gegner der Gebietsreform dem Gremium angehöre. Dass die Reform in ihren Erwägungen keine Rolle spielen werde, haben die drei Herren schon nachdrücklich bekundet. 

Das größere Problem dürfte aber sein, dass die Koalition als Kläger, mindestens aber als Antragsteller auftritt, was ihr gutes Recht ist, zugleich jedoch mit ihrer Mehrheit im Ausschuss und im Landtag Richter sein will. Wie soll dieser Konflikt aufgelöst werden? Aus der Grünen-Fraktion wurde in der Aussprache auch auf die Rechtsstaatsprinzipien verwiesen, denen der ganze Streit unterworfen werden müsse. Kein unbeachtlicher Aspekt. 

Nicht cc gesetzt

Als vom Untersuchungsausschuss zu möglichem Amtsmissbrauch in der Thüringer Landesregierung, vulgo Lauinger-Ausschuss, seinerzeit der Schulabteilungsleiter im Bischöflichen Ordinariat befragt wurde, konnte man den Eindruck gewinnen, in den Aktenbeständen könnte noch das Abiturzeugnis Martin Luthers liegen, oder falsch abgelegt, ein weiteres nicht kanonisiertes Evangelium. „Ich nehme einen Aktenordner und hefte die Schreiben ab und wenn der Ordner voll ist, stell ich den in ein Regal und fange einen neuen an“, so umriss der kirchliche Bedienstete die Aktenordnung in seiner Abteilung.
Zu den Vorgängen um die Befreiung von der Besonderen Leistungsfeststellung für den Sohn eines grünen Ministers nach einem Auslandsaufenthalt wurde vom Ausschuss, im wesentlichen vom CDU-Obmann und vom Voristzenden, auch der Leiter des staatlichen Schulamtes Mittelthüringen befragt und man gewann den Eindruck, in den Konvoluten in der Schwanseestraße in Weimar finde sich noch ein unbearbeiteter Antrag auf 7 Tage Schulbefreiung der Eltern John August Roeblings, der in Erfurt an der Himmelpforte unterrichtet wurde. Man müsste nur ordentlich suchen

Der Ausschuss spürt derzeit der Vollständigkeit der ihm vorgelegten Akten zur Causa Lauinger nach. Und so drehen sich die Fragen um die Aktenlage und Aktenplänen und darum wie Aktenzeichen vergeben werden, die ja praktisch sind beim Wiederauffinden von Akten. „Ich mach das nicht.“, sagte der langjährige Schulleiter auf die Frage, wie in seinem Amt ein Aktenzeichen vergeben wird. „Ich war ja mal Referatsleiter im Ministerium und da hab‘ ich das auch nicht gemacht. Das haben Mitarbeiter getan.“ Die Frage nach dem Rechtscharakter eines vom Bildungsministerium vorgegebenen Aktenplanes vermochte er nur mit Hilfe des Fragestellers von der CDU  – wie der süffisant bemerkte, ohne die Hilfe der Sekretärin des Behördenleiters – zu beantworten. Vielleicht kam ihm während der Fragerei der Gedanke, dass ein Schüler, der sich wie er angestellt hätte, durch die Prüfung gerauscht wäre. Der Pädagoge hat in Weimar 60 Untergebene, die sich um etwa 5000 Lehrer an 160 Standorten kümmern. Da gibt’s schon viel, viel  Arbeit. „Ich möchte keine Jammergeschichte aufziehen, doch die Mitarbeiter sind nach der Reform der Schulämter schlechter gestellt  als in anderen Bundesländern“, umriss er das Arbeitspensum. Der anwesende Vertreter des Ministeriums wird es nicht ohne Gleichmut gehört haben. Viel Arbeit, so lobte der Behördenleiter seine Mitarbeiter, erledigen die ohne, dass er davon Kenntnis bekommt. „jeder im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens.“

Und so ging die formlose Anfrage aus der Edith Stein Schule über die Modalitäten einer Schulbefreiung für einen Zehntklässler an ihm vorbei und auch  ohne dass er erfuhr, dass der zuständige Referatsleiter Gymnasien der Schule empfohlen hat, sie möge den Eltern des Schülers besser eine Änderung der Reiseplanungen nahelegen. Es steht zu vermuten, dass Vieles der Arbeit seiner Mitarbeiter an ihm vorbei geht. Die Anfrage nannte er eine von „vielen, vielen kleinen Anfragen, die auch nicht endgültig einer Lösung zugeführt werden konnten“. Der zuständige Referatsleiter hatte die Frage der Schule nicht einmal als Antrag aufgefasst. „Es gab keinen Antrag, also gab es auch nichts zu entscheiden“. Das katholische Gymnasium hätte sich als Schule in freier Trägerschaft direkt an das zuständige Referat im Bildungsministerium wenden müssen, sagte der in einer früheren Sitzung des Untersuchungsausschusses. Eine Sachakte sei damals nicht angelegt worden, wiederholte mehrmals der Amtsleiter. Erst als das Ministerium nachfragte und nach dessen Aufforderung, nach Bekanntwerden der Sache.

Dafür dass die Behörde in Weimar nicht zuständig war, wurden dann überraschend viele Schriftstücke nach entsprechender Kommunikation mit Ministerium und Schule erarbeitet. Soviel, dass aus Weimar dem Ausschuss wiederholt Schriftsätze nachgereicht wurden. Die letzten mit einem Anschreiben am 28. April. 38 Seiten. Obwohl vielfach weder er noch das Amt im Email-Verkehr cc gesetzt worden sei. Täuscht der Eindruck, dass, nachdem das Schulamt schon mal involviert worden war, dort auch die Entscheidung über die Schulbefreiung, obwohl nicht zuständig, vorbereitet wurde? Fern der politischen Ebene des eigentlich zuständigen Ministeriums. Wie praktisch, wenn es um eine Entscheidung zugunsten des Sohnes eines Ministers geht, der sich nur als Vater in den Gang der Dinge eingeschaltet hat, wie der Minister immer wieder beteuerte.